Donnerstag, 26. Juli 2007

Köpfe als Kannonenkugeln

Eine Übersetzung von History's bloodiest siege used human heads as cannonballs.

Köpfe als Kannonenkugeln
Die Blutigste Belagerung der Geschichte

Von James Jackson, dem Autor von "Blood Rock"

Eine warme und stickige Juni-Nacht auf der kleinen Mittelmeer Insel Malta. Ein christlicher Wachposten patroulliert am Fuß der Festung am Naturhafen Grand Harbour und erblickt etwas im Wasser treiben.

Alarm wird ausgelöst. Noch mehr dieser seltsamen Objekte treiben auf Sichtweite heran. Männer waten in die Untiefen, um sie ans Ufer zu ziehen. Was sie finden entsetzt sogar diese kampfesmüden Veteranen: Hölzerne Kreuze, vom Feind in die Hafenbucht gelotst, aufgenagelt auf jedem der enthauptete Rumpf eines christlichen Ritters.

Dies war psychologische Kriegsführung brutalster Art, eine Botschaft geschickt vom türkisch-islamischen Kommandeur, dessen Invasionsarmee kurz zuvor einen kleinen Außenposten der Festung St. Elmo ausgelöscht hatte - ein paar tausend Meter über das Wasser entfernt.

Nächstes Ziel war die letzte verbleibende Festung an der Hafenstirn, wo die Belagerten und ob ihrer Unterzahl fast schon überwältigten Christen immer noch aushielten: Die Festung St. Angelo. Der türkische Kommandeur wollte ihren Verteidiger wissen lassen, daß sie die nächsten sein würden und ein furchtbarer Tod das einzige Ergebnis ihres fortgesetzten Widerstands sein konnte.

Womit der Kommandeur nicht gerechnet hatte, war der Eifer seiner Feinde - der Ritter von St. John - und auch nicht mit der Entschlossenheit ihres Führeres Großmeister Jean Parisot de la Valette, der schwor daß die Festung nicht genommen würde, solange noch ein einziger Christ auf Malta leben würde.

Auf die Nachricht dieser unfassbaren Entdeckung der enthaupteten Ritter hin, von denen viele persönliche Freunde von Großmeister Valette waren, befahl dieser, daß die gefangenen und tief in den gewölbten Verliesen der Festung eingesperrten Türken umgehend aus ihren Zellen geholt und geköpft werden sollten - einer nach dem anderen.

Und so sandte er die Rückantwort: mit der stärksten Kannone der Festung ließ er die Köpfe der türkischen Gefangenen geradewegs in die mohammedanischen Linien schießen. Keine Verhandlungen würde es geben, keine Kompromisse, keine Aufgabe und kein Zurückweichen.

Wir Christen, sagte der Großmeister, werden kämpfen bis zum Tode und euch mit uns nehmen.

Bei der Belagerung Maltas im Jahre 1565 fand ein Zusammenprall unvorstellbarer Brutalität statt, eine der blutigsten, wenn auch oftmals unterschätzten Schlachten, die jemals geschlagen wurden. Dieses Ereignis bestimmte den Lauf der Geschichte, weil es um das schiere Überleben der Christenheit ging.

Würde das strategisch wichtige Malta fallen, würde das mohammedanische Osmanische Reich bald das ganze Mittelmeer beherrschen und sogar Rom würde in Gefahr sein.

Hunderte von Schiffen hatten die Mohammedaner und eine mehrere zehntausend starke Armee. Die Christen waren ein bunt zusammengewürfelter Haufen von gerade mal ein paar hundert abgebrühter Ritter mit einen paar Bauernsoldaten und ein paar wenigen tausend spanischen Fussoldaten. Malta schien verloren ...

Daß die Johanniter Riter von St. John überhaupt existierten, war für sich schon ein Wunder. Sie waren ein mittelalterliches Überbleibsel, gegründet ursprünglich als Orden, um sich um kränkelnde Pilger im Heiligen Land während der Kreuzzüge 300 Jahre vorher - andere Kreuzritterorden, wie die Tempelritter waren zweieinhalb Jahrhunderte zuvor ausgelöscht worden.

Aus Ländern überall in Europas kamen sie: Deutschland, Portugal, Frankreich, Spanien. Was sie vereinte, war das brennende Verlangen, die Christenhheit vor den nicht enden wollenden Angriffswellen des Islam zu verteidigen. Doch im 16. Jahrhundert, einer Zeit steigender Bedeutung der Nationalstaaten, sah man in diesen Grenzen überwindenden Eiferern schon befremdlichen Anachronismus in weiten Teilen Europas.

Schon von ihrer früheren Heimstatt, der Insel Rhodos hatten die Türken sie vertrieben. Daraufhin hatten sich die Ritter in Malta festgesetzt und wiederum wurden sie bedroht.

So grausam war das Kämpfen, so verschieden die beiden Seiten und so wichtig die Begebenheit, daß ich mich entschloß, die Belagerung Maltas zum Gegenstand meines neuesten Romans, "Der Blutfelsen" (orig. "Blood Rock") zu machen. Er war der Schauplatz eines, epischen und überwältigenden Geschichtsereignisses - wie wir Romanschreiber sagen.

Doch schon bei der Recherche für mein Buch recherchierte, wurde mir bewußt, daß das, was vor mehr als 400 Jahren auf Malta geschah, uns heute eine Lehre sein soll. Denn nur zu gut wissen wir, daß religiöser Extremismus, Terrortaktiken und Barbarei heute immer noch existieren.

Malta war nicht einfach nur eine Belagerung, sondern kann uns vieles lehren: Den Notwendigkeit von Mut und Standfestigkeit eines ganzen Volkes im Angesicht einer Bedrohung, die Zerbrechlichkeit des Friedens und die Zerstörungsmacht religiösen Hasses.

Suleiman der Prächtige, Sultan der Türkei und mitleidloser Herrscher des Osmanischen Reiches, starrte hinaus auf das glitzernde Wasser des Goldenen Horns der Mündung von Istambul. Er galt als der mächtigste Mensch auf Erden - seine Titel waren "Stellvertreter Gottes auf Erden", "Herr der Herren in West und Ost" - und aufgrund seiner Gewohnheit, Untertanen köpfen zu lassen, die ihn verärgerten, Eigentümer der Genicke zahlloser Männer.

Sein Reich und absoltes Herrschaftsgebiet reichte von den Toren vor Wien zu den Gärten Babyloniens, von Budapest nach Aden. Er war einer der reichesten Männer aller Zeiten, der keine Kleidung zweimal trug, von juwelenbesetzem Goldgeschirr aß und für seine Lust einen Harem von mehr als 300 Frauen zur Verfügung hatte.

Als Achzigjähriger, war er gänzlich mitleidlos und beschäftigte eine Meuchelmörderkommando von Taubstummen um Verräter zu erwürgen. Grund war, daß ein Flehen ihrer Opfer um Gnade sie nicht beeindrucken konnte und nichts verraten konnten. Suleiman hatte sie für die Beseitigung seines Großvesirs und seiner liebsten Söhne benutzt. Weniger bedeutsame Personen konnten auch schon mal mit flüssigem Blei hingerichtet werden, das er in ihre Kehlen gießen ließ.

Wobei er angesichts der Maßstäbe seiner Zeit und seiner Dynastie nicht übermäßig gewalttätig war. Andere Sultane hatten noch viel schlimmeres getan: Einer, der seiner Weiber überdrüssig war, ließ seinen ganzen Harem ertränken - mehrere hundert an der Zahl - in Muselinsäcken auf den Grund des Bosporus; ein zweiter erließ sich selbst ein Gesetz, zehn und mehr Bürger pro Tag mit Pfeil und Bogen vom Dach seines Palasts aus zu erschießen.

Suleiman befehligte die größte Streitmacht auf der Welt. Vor ihm lag eine Armada von 200 Schiffen, die auf seinen Befehl mit 40.000 Mann an Bord lossegelten. Er plante den öden Felsen von Malta wegzublasen und die Ritter von St. John von der Karte zu wischen.

Die Ritter begingen Überfälle und störten damit die osmanischen Schiffsrouten. Das Faß zum Überlaufen brachte die Kaperung des wertvollen Schiffes seines bedeutsamen Höflings des Obersten der Mamelucken.

Weil alle dessen Geschlchtsteil mit dem sauberen Schnitt eines Rasiermessers entfernt worden waren (ein Metallrohr wurde in seine Harnröhre geschoben und die Wunde mit siedenden Öl zugebrannt), war er so Vertrauenswürdig, daß er sogar in Suleimans Harem nach dem rechten sehen durfte.

Da der Sultan keinen derart großen Ärger erwartet hatte steigerte sich seinen Rachedurst. Nicht mehr als 700 Ritter standen ihm im Weg. Dieses Gesinde würde sehr schnell beseitigt sein.

Die türkische Flotte zog übers Mittelmeer im März 1565. An Bord der Schiffe waren die besten Schreckensregimenter der Janitscharen - genannt die "Unbesiegbaren" - die den Islam mit den vor allem für Aufschlitzen geeigneten Klingen ihrer Krummsäbel nach Europa trugen.

In ihrer Begleitung waren die schwarzgefiederten Kavallerietruppen und Fußsoldaten, ebenso wie drogennärrische "Layalare", die in Raubtierfellen gekleidet waren und deren einziges Ziel die Erreichung des Paradieses war, wenn sie beim Halsabschneiden christlicher "Ungläubiger" selbst den Märtyrertod starben.

Ende Mai 1565 kam die Invasionsarmee bei der Insel an. Dank guter Aufklärung hatten die Ritte sich bereits auf sie vorbereitet und um Unterstützung durch christliche Armeen aus den Ländern Europas ersucht. Alle Königreiche hatten ihnen eine Absage erteilt, außer Sizilien, das versprach, möglicherweise Entsatztruppen zu schicken, falls die Ritter der Belagerung eine Zeit standhalten konnten.

Sie haben vermutlich nie von der Festung St. Elmo gehört. Es ist ein kleine sternförmiges Bauwerk auf der Spitze dessen, was heute die maltesische Hauptstadt Valletta bildet am Nordufer des Grand Harbor.

Zu Ende Mai 1565, war es der Ort, an dem die ganze Macht der türkischen Artillerie entfesselt wurde, eine höllisches Feuerspektakel das die moderne Kriegsführung vorwegnahm. Mehrere Tage lang ließen die Angreifer alles, was sie hatten, auf das bald schon torkelnde und zerbrechende Gebäude einprasseln, zerbarsten Kalksteinmauern zu Schutt und Staub. Doch die Ritter weigerten sich aufzugeben.

Eines Nachts sandte Valette Reservetruppen von St. Angelo per Schiff über den Grand Harbour, wohlwissend daß dies ein Todeskommando war.

Nachdem der Artillerie strömten die Angriffer ein, Welle auf Welle schreidender und Krummsäbelschwingender Türken, hinweg über die Leichen schon gefallener, um Schiffsmasten zur Überbrückung der von den Mauern St. Elmo's schon fast verschütteten Festungsgrabens abzuladen.

Und regelmäßig belegte sie die abgerissene und kleiner werdende Verteidigerschar mit Piken und Schlachtäxten, Musketenfeuer, heruntergeworfenen Felsblöcken und geschleuderten Feuerringen, die die wallenden Gewänder der Mohammedaner entflammten, so daß sie brennend und niedergemacht den Tod fanden.

Die Feuerreifen - in Flachs und Baumwollle gehüllt, mit Pech und Schwefel überzogen und dann in Branntwein getaucht - waren von den Rittern selbst erfunden. Wurden sie lodernd über die Festungsmauern geworfen, konnten sie drei Türken auf einmal verschlingen.

Über 30 Tage, abgeschnitten und verloren, hielten die Soldaten von St. Elmo stand. Der türkische General hatte gehofft, die Festung in drei Tagen einnehmen zu können. Am Freitag den 22. Juni 15565 zu später Nacht sangen die wenigen hundert Überlebenden einer Garnion von 1500 Choräle, sandten Gebete, läuteten trotzig ihre Kirchenglocken und erwarteten, am darauffolgenden Tag ihr Ende zu finden.

Diejenigen, die allein nicht mehr stehen konnten, setzte man hinter dem zerschlagenen Bollwerk auf Stühle, wo sie mit ihren Piken und Schwertern in kauernder Stellung den letzen Angriff erwarteten.

Als sie kamen, und die ganze türkische Armee fiel herein als heulende Masse, konnte die Handvoll der Christen immer noch für mehrere Stunden kämpfen. Die Osmanen bekamen, was sie verdienten. Die Halbmond-Banner flatterten über den Ruinen, die Köpfe von Rittern wurden auf Spieße gesteckt und die gekreuzigten Leichnahe ihrer Offiziere schwammen rüber zu St. Angeo an der entgegengesetzen Seite des Hafens, aber die Türken hatten dabei wertvolle Zeit und 8000 ihrer Pioniertruppen verloren.

Als die Sommerhitze den Zenit fand, suchten Krankheiten und Durchfall das mohammedanische Lager heim und die Toten lagen stapelweise um die rußgeschwärzten Überreste der eingenommenen Festung. Alleingelassene Ritter, die Jungfrau Europa hatte sich von ihnen abgewandt. Doch Großmeister Valette dachte nicht daran, aufzugeben.

Heroischen Szenen und Schrecken gab es reichlich in den furchtbaren Tagen, die folgten. Und es gab außergewöhniche Gestalten: Fra Roberto, der Priester der mit der einen Hand mit dem Schwert und mit der anderen Hand mit einem Kreuz auf den Zinnen focht. die zwei englischen Abenteurer, die verspätet aus Rom eintrafen, um teilzunehmen und Valette, der unnachgiebig im Mauerdurchbruch stand und mit einem Speer Mann-gegen-Mann den Feind bekämpfte.

Andere hatten verzeifelte Ausbrüche gegen die Osmanen angeführt, mit denen unter deren Arbeiter marodierten oder aus dem Hinterhalt deren Kommandeure erschossen. Doch auch der Feidn hatte tapfere und muntere Gestalten, unter ihnen Dragut, der am meisten gefürchtete Corsar seiner Zeit, dessen Geschicklichkeit und Treffsicherheit dem Sultan sehr zu nutze waren. Der Splitter einer Kannonenkugel traf ihn.

Doch die Belagerung wurde fortgeführt, nun mit St. Angelo als Ziel, die letzte befestigte Enklave der Ritter auf der Südseite des Grand Harbour.

Die Türken versuchten jeden Dreh und jede Taktik die sie kannten. Sie trieben Tunnel unter die christlichen Verteidigungsanlagen, um Schießpulver zu vergraben, das die Ritter in Stücke zerreißen sollte. Die Malteser reagierten mit ihren eigenen Minenschächten, um die Tunnel zu sprengen, so daß auch unter der Erde entsetzliche es Gemetzel stattfanden.

Als nächstes führten die Türken Belagerungsmaschinen heran, riesige Türme dafür geschaffen, Fußsoldaten direkt auf die Festungsmauer zu befördern. Die Ritter entfernten Steine am Fuß der Festungsmauer so daß sie Kannonen aus den Lücken herausrollen konnten, mit denen sie die Belagerungsmaschinen zerschossen.

Viele male wurde diese Mauern eingeschossen und die Türken strömten durch im Verlangen alles abzuschlachten, was ihnen in den Weg kam. Der Sieg schien zum Greifen, aber zu spät bemerkten, sie daß die Ritter einen Hinterhalt vorbereitet hatten, mit dem sie eine Todeszone schufen, in der sie alle konzentriert und abgeschlachtet wurden.

Wie Sand zwischen Fingern entglitt ihnen der Sieg. Die brütende Hitze von Juli und August laugte ihre Moral und ihre Stärke aus; das Gefühl eine Niederlage zu erleben verbreitete sich wie der alles durchdringenden Gestank der Toten.

Mustafa Pascha, der türkische Kommandeur, marschierte landeinwärts auf das mit einer Stadtmauer bewehrte Mdina, zog sich aber zurück, weil seine Kundschafter ihm von einer beträchtlichen und gut bewaffnete Garnison erzählten. Doch dies war ein Trick: Mdina war fast ohne Verteidigung, aber der Bürgermeister ließ Frauen und Kinder Helme anlegen und Piken tragen, mit denen sie an den Mauern regelmäßig Streife liefen.

Rasend vor Wut, angesichts immer größerer Verluste und der aufkommenden Herbststürme, rollten die Türken eine gewaltige Bombe - ein teuflisches fassförmiges Gebilde voll mit Schießpulver und Musketenkugeln- in die christlichen Stellungen.

Ein Ritter rollte es prompt zurück und es riß ein verheerendes Loch in die eng stehenden und wartenden Mohammedaner-Reihen riß. Dann regnete es. Im Glauben, daß das Schießpulver der Ritter feucht, und ihre Musketen und Kannonen somit nutzlos sein würden, ließ Mustafa Pascha seine Truppen vorstürmen.

Empfangen wurden sie von einem Hagel, nicht nur von Armbrustbolzen, sondern auch Geschützfeuer, weil Valette sich darauf vorbereitet hatte und in einem Lager trockenes Schießpulver zur Seite gelegt hatte.

Endlich erreichte die Ritter der Entsatz in Form einer kleinen Armee aus Sizilien. Im Glauben der Nachschub seines Feindes wäre zu schwach, um irgendeine Bedeutung zu haben, befahl der wütende Mustafa Pascha seinen Trupen - die einen Sperrriegel errichtet hatten, als sie von den Neuankömmlingen erfuhren - direkt auf sie zuzumarschieren. Das war der letzte seiner vielen tödlichen Fehltritte.

Die Kavallerie des Entsatzheeres lud und ebenso die Fußtruppen und ihr Feuer, fuhr mitten in die Türken, so daß sie die Flucht ergriffen. Die Bande erlebte ein Blutbad. Die einstmals so stolze osmanische Streitmacht floh quer über die Insel und ohne jede Ordnung zu ihren Schiffen, niedergestreckt und aufgespießt auf Schritt und Tritt. Tausende starben und die Wasser der St. Pauls Bucht färbten sich rot.

Von den 40.000 Mann die im Frühling in Konstantinopel Segel gesetzt hatten, schafften es nicht mehr als 10.000 wieder Heim. Zurück ließen sie eine Szene schierer Verwüstung.

Nahezu die gesamte von Jean Parisot de Valette befehligte Besatzung war dahingeschieden und die Stadt Valletta trägt seither diesen Namen. Nun, nach 112 Tagen der Belagerung hatte der zusammengewürfelte Haufen von Überlebenden Mühe, durch die zerbombten Trümmer ihrer Linien zu kommen.

Doch Malta war gerettet, für Europa und die Christenheit. Die Ritter von St. John hatten gewonnen.

Die Geschichte ging weiter. Die Insel überlebte 1940 eine weitere Belagerung und spielte dabei eine Schlüsselrolle bei der Rettung der Zivilisation; dieses mal gegen Hitler Truppen. Heute sind Hotels und Appartment-Bauer hinzugezogen. Die große Belagerung von 1565 wird nicht oft erwähnt, denn nicht oft bohren Besucher der Insel in alten und vergessenen Ereignissen.

Doch ich stand in dieser kleinen in die Mauern des Festung St. Elmo eingebauten Kapelle, genau an dem Punkt an dem die Verteidiger in einer lange vergangenen Juninacht ihr letztes Heiliges Abendmahl einnahmen. Diesen Rittern sind wir etwas schuldig.

Sie brachtenein ungeheures Opfer, dessen Auswirkung auf unser heutiges Leben wohl bedeutsamer ist, als wir vielleicht wissen. Doch der religiöse Fanatismus geht weiter, die weltweit Mächtigen kämpfen immer noch um Teile unfruchtbarer Felsen. Vielleicht lernen wir es nie.

Montag, 23. Juli 2007

Grundsätze für die Neuordnung

Kreisau - so hieß ein kleines Dorf in Niederschlesien. Dort traf sich auf dem Gutshofder Familie von Moltke eine Gruppe von Nazigegnern, um Pläne für die Zukunft Deutschlands und Europas nach dem Ende des Nationalsozialismus auszuarbeiten. Die Kreisauer sahen sehr früh, "nicht nur die Verwüstungen der Städte, sondern auch die entsetzlichen Verwüstungen in den Köpfen und Herzen der Menschen". Viele Mitglieder des Kreisauer Kreises wurden 1944/45 hingerichtet.

Grundsätze für die Neuordnung vom 9. August 1943

Die Regierung des Deutschen Reiches sieht im Christentum die Grundlage für die sittliche und religiöse Erneuerung unseres Volkes, für die Überwindung von Hass und Lüge, für den Neuaufbau der europäischen Völkergemeinschaft. Der Ausgangspunkt liegt in der verpflichtenden Besinnung des Menschen auf die göttliche Ordnung, die sein inneres und äußeres Dasein trägt. Erst wenn es gelingt, diese Ordnung zum Maßstab der Beziehungen zwischen den Menschen und Völkern zu machen, kann die Zerrüttung unserer Zeit überwunden und ein echter Friedenszustand geschaffen werden.

Die innere Neuordnung des Reiches ist die Grundlage zur Durchsetzung eines gerechten und dauerhaften Friedens. Im Zusammenbruch bedingungslos gewordener, ausschließlich auf die Herrschaft der Technik gegründeter Machtgestaltung steht vor allem die europäische Menschheit vor dieser Aufgabe. Der Weg zu ihrer Lösung liegt offen in der entschlossenen und tatkräftigen Verwirklichung christlichen Lebensgutes.

Die Reichsregierung ist daher entschlossen, folgende innen und außen unverzichtbare Forderungen mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu verwirklichen:

  1. Das zertretene Recht muß wieder aufgerichtet und zur Herrschaft über alle Ordnungen des menschlichen Lebens gebracht werden. Unter dem Schutz gewissenhafter, unabhängiger und von Menschenfurcht freier Richter ist es Grundlage für alle zukünftige Friedensgestaltung.
  2. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit wird gewährleistet. Bestehende Gesetze und Anordnungen, die gegen diese Grundsätze verstoßen, werden sofort aufgehoben.
  3. Brechung des totalitären Gewissenszwangs und Anerkennung der unverletzlichen Würde der menschlichen Person als Grundlage der zu erstrebenden Rechts- und Friedensordnung. Jedermann wirkt in voller Verantwortung an den verschiedenen sozialen, politischen und internationalen Lebensbereichen mit. Das Recht auf Arbeit und Eigentum steht ohne Ansehen der Rassen-, Volks- und Glaubenszugehörigkeit unter öffentlichem Schutz.
  4. Die Grundeinheit des friedlichen Zusammenlebens ist die Familie. Sie steht unter öffentlichem Schutz, der neben der Erziehung auch die äußeren Lebensgüter: Nahrung, Kleidung, Wohnung, Garten und Gesundheit sichern soll.
  5. Die Arbeit muß so gestaltet werden, daß sie die persönliche Verantwortungsfreudigkeit fördert und nicht verkümmern läßt. Neben der Gestaltung der materiellen Arbeitsbedingungen und fortbildender Berufsschulung gehört dazu eine wirksame Mitverantwortung eines jeden an dem Betrieb und darüberhinaus an dem allgemeinen Wirtschaftszusammenhang, zu dem seine Arbeit beträgt. Hierdurch soll er am Wachstum einer gesunden und dauerhaften Lebensordnung mitwirken, in der Einzelne, seine Familie und die Gemeinschaften in ausgeglichenen Wirtschaftsräumen ihre organische Entfaltung finden können. Die Wirtschaftsführung muß diese Grunderfordernisse gewährleisten.
  6. Die persönliche politische Verantwortung eines jeden erfordert seine mitbestimmende Beteiligung an der neu zu belebenden Sozialverwaltung der kleinen und überschaubaren Gemeinschaften. In ihnen verwurzelt und bewährt, muß seine Mitbestimmung im Staat und in der Völkergemeinschaft durch selbstgewählte Vertreter gesichert und ihm so die lebendige Überzeugung der Mitverantwortung für das politische Gesamtgeschehen vermittelt werden.
  7. Die besondere Verantwortung und Treue, die jeder einzelne seinem nationalen Ursprung, seiner Sprache, der geistigen und geschichtichen Überlieferung seines Volkes schuldet, muß geachet und geschützt werden. Sie darf jedoch nicht zur politischen Machtzusammenballung, zur Herabwürdigung oder Unterdrückung fremden Volkstums mißbraucht werden. Die freie und friedliche Entfaltung nationaler Kultur ist mit der Aufrechterhaltung absoluter einzelstaatlicher Souveränität nicht mehr zu vereinbaren. Der Friede erfordert die Schaffung einer die einzelnen Staaten umfassenden Ordnung. Sobald die Zustimmung aller beteiligten Völker gewährleistet ist, muß den Trägern dieser Ordnung das Recht zustehen, auch von jedem Einzelnen Gehorsam, Ehrfurcht und notfalls auch den Einsatz von Leben und Eigentum für die höchste politische Autorität der Völkergemeinschaft zu fordern.


Gegenüber der großen Gemeinschaft, dem Staat oder etwaigen noch größeren Gemeinschaften wird nur der das rechte Verantwortungsgefühl haben, der in kleineren Gemeinschaften in irgendeiner Form an der Verantwortung mitträgt, andernfalls entwickelt sich bei denen, die nur regiert werden, das Gefühl, daß sie am Geschehen unbeteiligt und nicht dafür verantwortlich sind, und bei denen, die nur regieren, das Gefühl, daß sie niemand Verantwortung schuldig sind als der regierenden Klasse.
Helmut James von Moltke, 1939

Freitag, 29. Juni 2007

Was man über den Koran wissen sollte

Was man über den Koran wissen sollte, findet sich in Meyers Konversationslexikon (1885-1892). Der aufmerksame Leser wird feststellen, daß die Zusammenfassung aus einer Zeit stammt, in der man noch nicht wußte, was Gutmenschentum ist. Warum? Weil die Aufklärung damals in höchster Blüte stand!


Koran (Khoran, mit dem Artikel: Alkoran, die "Recitation" oder "Vorlesung" der göttlichen Offenbarung), das in arabischer Sprache verfaßte, von Mohammeds Schwiegervater und Nachfolger Abu Bekr aus mündlicher Überlieferung der Gläubigen und zufälligen Aufzeichnungen gesammelte und vom Kalifen Othman in offizieller Redaktion herausgegebene Religionsbuch der Mohammedaner, welches die Offenbarungen Mohammeds enthält.


Der K. schreibt sich selbst unmittelbaren göttlichen Ursprung zu, und die mohammedanische Tradition erzählt, daß derselbe von Urbeginn an in der Urschrift im siebenten Himmel vorhanden gewesen, von der gesegneten leilat al kadr ("Nacht des Ratschlusses") im Monat Ramasan an aber durch den Erzengel Gabriel dem Mohammed stückweise mitgeteilt worden sei.


Der K. in seiner gegenwärtigen Gestalt enthält 114 Suren oder Kapitel von sehr ungleichem Umfang und mit oft schwerverständlichen, zuweilen von einem in dem Kapitel zufällig vorkommenden Wort herrührenden Überschriften, z. B. "Das Eisen", "Die Schlachtordnung", "Der Sieg" etc.


Er enthält keine systematisch geordnete Glaubens- oder Sittenlehre; nicht einmal innerhalb der einzelnen Suren besteht ein geordneter Zusammenhang, da bei der Sammlung zufällige Äußerlichkeiten oft genug die Zusammenwerfung verschiedenartiger Bestandteile in den Rahmen einer Sure veranlaßten. Sprache und Darstellung sind mitunter Ausdruck einer glühenden und ergreifenden Begeisterung, oft aber auch ermüdend durch prosaischen Ton und endlose Wiederholungen.

Der Inhalt des Korans (das Nähere über denselben s. Auswahl Mohammedanische Religion) umfaßt übrigens nicht bloß Glaubens- und Sittenlehren, sondern auch Vorschriften des Zivil- und des Strafgesetzes, der Gesundheitspolizei und selbst der Politik - alles in oft schnell miteinander abwechselnden Formen der immer Gott in den Mund gelegten Erzählung, Belehrung, Verordnung, Ermahnung, Drohung und Verheißung.

Vielfach benutzt sind vom Verfasser des Korans die Überlieferungen der jüdischen und christlichen Religion, zuweilen auch die ältere arabische Sage. Die Auslegung des Korans bildet einen Hauptzweig der arabischen Litteratur.

Das Lesen des Korans gilt den Mohammedanern für ein heilschaffendes Werk, und es dienen die einzelnen Koranstücke zugleich als Gebete, im Gebrauch des Aberglaubens auch als Talismane.

Der Text des Korans erschien vollständig gedruckt, nachdem eine im Anfang des 16. Jahrh. von Paganini in Venedig hergestellte Ausgabe auf päpstlichen Befehl verbrannt war, zuerst besorgt von Hinckelmann (Hamb. 1694), dann mit lateinischer Übersetzung und andern Beigaben von Marracci (Padua 1698), später Petersburg 1787, Kasan 1803 und öfter.

Die im Abendland verbreitetste Ausgabe ist der Flügelsche Stereotypdruck (seit 1834 in mehreren Auflagen); im Orient gilt Vervielfältigung des Korans durch den Druck meist für unzulässig, doch ist er besonders in Indien neuerdings häufig lithographiert worden. Die älteste Übersetzung wurde im 12. Jahrh. vom Abt Peter von Clugny angefertigt (hrsg. v. Bibliander, Bas. 1543); von neuern sind zu nennen die französische von Kazimirski (neue Ausg., Par. 1884), die englischen von Sale (neue Ausg., mit Kommentar von Wherry, Lond. 1881-86, 4 Bde.), Rodell (das. 1861, 2. Ausg. 1878), Palmer (Oxf. 1880), die deutschen von Wahl (Halle 1828) u. Ullmann (8. Aufl., Bielef. 1881); dazu die Konkordanz Noojoom ool Foorqan (Kalk. 1811) und die neuern von Flügel (Stereotypausgaben, zuerst Leipz. 1842) und Kazem-Bek (Petersb. 1859); Auszüge mit englischer Übersetzung von Lane (Lond. 1844, 2. Ausg. 1879) und Muir (das. 1880). Eine den größten Teil des Textes umfassende deutsche Übersetzung hat sich in Fr. Rückerts Nachlaß gefunden und wird demnächst zum Druck gelangen. Wörterbücher gaben Willmet (Rotterd. 1784), Penrice (Lond. 1873) und Dieterici ("Arabisch-deutsches Handwörterbuch zum K. und Tier und Mensch", Leipz. 1881). Vgl. Weil, Historisch-kritische Einleitung in den K. (Bielef. 1844); Nöldeke, Geschichte des Qorans (Götting. 1860); Garcin de Tassy, L'islamisme d'après le Coran (Par. 1874); Lane Poole, Le K., sa poésie et ses lois (das. 1883); Nöldeke, The K., in der "Encyclopaedia Britannica", 9. Ausg., Bd. 16.

Dienstag, 19. Juni 2007

Islamkritik von Links

Wem angesichts tumber Einsortierung von Islamkritik als "rechtspopulistisch" mitunter die Sprache verschlägt, der möge sich mal den Text Solidaritätsadresse für Ralph Giordano durchlesen.

Hat man jemals schon eine so messerscharfe und freimütige Kritik am real-existierenden Mohammedanismus gelesen? Warum, fragt man sich da, schöpfen nicht auch Grüne Politiker aus diesem Fundus der Ideologiekritik? Hat sie bisher noch keiner darauf hingewiesen, daß es sich bei den allermeinsten Moscheebauten um abgeschottete ideologische Räume handelt, in denen antiliberale, 'gottesherrschaftliche' und menschenrechtswidrige Denk- und Einstellungsmuster reproduziert und stabilisiert werden oder ist von der sagenumwobenen emanzipatorischen Politikkultur, auf die Volker Beck doch so stolz ist nichts mehr übrig geblieben? Sollte letzteres der Fall sei, stünde zu befürchten, daß den Grünen eine Teilschuld an den heruntergekommen die politisch-ideologischen Verhältnissen zukommen könnte. Nicht auszudenken!

Montag, 28. Mai 2007

Werde ganz!

Der gespaltene Mensch ist unglücklich. Er ist es auch dann, wenn ihm alles gelingt und wenn ihm jeder Wunsch erfüllt wird. Das Gelungene befriedigt ihn nicht, weil ein Teil seines Wesens sich an der Befriedigung nicht beteiligt. Der erfüllte Wunsch bringt ihm keine Freude mehr, weil er im Wunsche selbst gespalten blieb und in der späteren Freude nicht ganz werden kann. Kein äußeres Glück macht ihn glückselig. Kein Lebenserfolg gewährt ihm den Genuß der Entspannung. Ihm fehlt das innere Organ, um glückselig zu werden; denn dieses Organ heißt Harmonie, übereinstimmende Totalität der Triebe und Fähigkeiten, Eintracht zwischen Instinkt und Geist, zwischen Glauben und Wissen.

Der gespaltene Mensch ist unglückselig. Ewiges Unbehagen ist sein Verhängnis; ewige und zwar hoffnungslose Jagd nach neuer Lust ist seine Bestimmung; Enttäuschung wartet auf ihn überall. Enttäuscht, sucht er nach neuem, unerprobtem Lustkitzel; er verlangt nach unerhörten Möglichkeiten; er verdreht den Geschmack, entstellt die Kunst und ist bereit, alle Abgründe des Bösen heraufzubeschwören und durchzustöbern, um einen neuen Reiz zu gewinnen, um ein neues, noch nie dagewesenes "Labsal" auszukosten. Er möge nur suchen und stöbern ... Gespalten, taugt er selbst für Glückseligkeit nicht; und was Seligkeit ist, wird er auch nie erfahren. Einem partiellen Genießer lächelt kein Genuß; einem gespaltenen Menschen lacht keine Sonne ...

Es wäre ein großer Fehler, diese ewige Unzufriedenheit, als Zeichen einer feineren, einer edleren Natur, die sich mit "gemeinen irdischen Freuden" nicht zufriedenstellen kann, zu deuten. Das Gespaltensein ist nicht eine höhere Errungenschaft, der man nacheifern dürfte; im Gegenteil, es ist eine Krankheit des Geistes, die man zu überwinden hat. Es darf uns nicht imponieren, daß die Helden Lord Byrons so souverän tun, als ob ihre Schwermut sie zu Halbgöttern erhöbe. Wir dürfen den Götheschen Faust nicht als einen Übermenschen bewundern, weil nämlich seine "zwei Seelen" sich von einander trennen wollen und weil er sich dem lustversprechenden Teufel verschreibt. Das achzehnte und das neunzehnte Jahrhundert hatten den Mut gehabt, sich ihre angeerbte geistige Spaltung zum Bewußtsein zu bringen und laut auszusprechen. Aber dieser Mut klang nach Selbstsicherheit, nach souveränem Stolz und nach Herausforderung; und so wurde die Spaltung für eine hohe Errungenschaft, für das Zeichen eines "höheren Menschen", eines "neuen Zeitalters" ausgegeben und genommen. Die Uneinigkeit zwischen Glauben und Verstand war schon lange da. Aber nun wurde daraus nach und nach eine Apologie des Zerfalls, eine unverhohlene Rebellion gegen das Göttliche, eine systematische Entweihung des Lebens und eine folgerichtige Absage an das Christentum. Diese Absage wurde schließlich bei Nietsche in Tönen des Hasses und der Verherrlichung vorgetragen, und fand in den Ereignissen der letzten Jahrzehnte ihre praktische Verwirklichung und Vollendung.

Der gespaltene Mensch ist unglückselig. Wenn er die Wahrheit empfängt, kann er nicht entscheiden, ob das die Wahrheit ist oder nicht, weil ihm die Fähigkeit zur totalen Evidenz fehlt. Hat er sie im Bewußtsein, so schweigt sein Gefühl und er läßt sie als nichteinleuchtenden Bewußtseinsinhalt fallen. Er versteht den eigenen Besitz nicht zu besitzen und den erworbenen Reichtum nicht zu erfassen. Vom Licht "weiß" er, daß es eben Licht ist, aber er schaut es nicht als Licht und bringt keine Freude ihm entgegen. So verliert er auch den Glauben daran, daß es eine totale Evidenz geben kann. Er will sie auch den Anderen nicht gönnen und begegnet ihr mit Spott; und um diesen Spott zu bekräftigen, schafft er eine Doktrin, der zufolge der Mensch überhaupt nichts Sicheres wissen kann (Agnostizismus) und verdammt ist, alles nur relativ zu erfassen und relativ anzuerkennen (Relativismus). Daraus entsteht eine systematisch gezüchtete und gepflegte Erkenntis-Anämie, ein grundsätzliches "Weder-Ja-noch-Nein", eine Flucht vor der Evidenz. Der gespaltene Mensch ist ein geistig entkräfteter Mensch. Er ist unfähig, Ueberzeugungen zu haben. In Fragen der Bekenntnis ist er gelähmt.

So etwa geht es ihm auf allen Gebieten des Geistes. - Er verwandelt das Problem des Guten-und-Bösen in die Frage nach dem Relativ-Nützlichen und Relativ-Schädlichen (Utilitarismus) und überläßt diese Fragen zufälligen, verstandesmäßigen Erwägungen. Und im Grunde genommen ist er der Ansicht, daß "kluge Menschen" sich mit dieser Frage überhaupt nicht abgeben. - In Sachen des Vaterlandes, der Rechtsfreiheit, der Gerechtigkeit steht er auf demselben "klugen" Standpunkt der Relativität; und zwar deswegen, weil seine Liebe und sein Rechtsempfinden so gespalten und entkräftet sind, wie seine Evidenz. - Für die Religion kann er überhaupt nichts übrig haben, denn sie erhebt Anspruch auf eine totale Herzens-Evidenz und kann sich mit keinen partiellen Zugeständnissen oder "Neigungen" begnügen. Der religiöse Mensch ist ganz, darum ist der gespaltene Mensch entweder religionslos oder religionsfeindlich. - Nur die Kunst hat er gerne, ganz besonders wenn sie ihren großen Dienst vernachlässigt und seinen Launen zu entsprechen sucht. Dann muß sie aber ihrer gesunden und tief verankerten Totalität absagen und selbst partiell werden: sie muß ihr sinnliches Gewand so reizvoll wie möglich ausputzen, sie muß einem sinnberauschenden "Impressionismus" oder "Futurismus" huldigen, sie muß sich äußerlich, arrogant, nervenkitzelnd gestalten - um nicht abgelehnt zu werden.

Dieser Entartung der Kultur liegt ein entartetes Dasein, ein gespaltenes, partielles Seelenleben zugrunde, das keine Verankerung kennt und alles Endgültige meidet. Der gespaltene Mensch balanciert sein Leben lang zwischen Nützlichkeitserwägungen, die er mit dem Wort "Vernunft", "vernünftig" bezeichnet, und augenblicklicher Laune, die er als "Stimmung" gerne hat. Gelingt ihm dieses Gleichgewicht, so wird seine Existenz tolerabel, gelingt es ihm nicht, so wird sie miserabel; er weiß nichts zu beginnen, denn die tieferen Quellen und die wahren Heiligtümer des Lebens fehlen ihm. Hieraus das "taedium vitae", die Langeweile am Leben.

Liebt er, so ist er nie sicher, daß er liebt, denn seine Liebe ist partiell. Liebt er nicht, so ist auch sein Nicht-Lieben partiell und wenig wert. Sein Ja ist nicht mehr als ein halbes Ja und spielt mit Nein; aber sein Nein ist ebenso relativ, bedingt, provisorisch und unzuverlässig. Sein Wort ist rein phonetisch aufzunehmen, denn der Sinn seines Wortes ist vieldeutig und der geistige Wert seines Wortes ist eine verschwindende Größe. In allen Situationen des Lebens kann er "so", aber auch "ganz anders": denn unverankert wie er ist, will er sich nicht binden. Ihm fehlt die wichtigste, die wertvollste Grundlage des geistigen Charakters: das eine, das einheitliche, das einzige Zentrum des Lebens.

Ein gediegener geistiger Charakter gleicht einer befestigten Stadt, in deren Mitte sich eine Burg erhebt: hier steht ein Tempel Gottes, mit dem Altar, auf dem eine nie ausgehende Flamme loht. Das ist das heilige Zentrum der Stadt, von dem aus alle Hausherde angezündet werden. Hier vereinigt sich alles; hier werden alle wichtigen Beschlüsse gefaßt; von hier aus strahlt der zentrale, der maßgebende Wille aus; hier sammelt sich die Kraft, hier wappnet sich die Treue.

Ein gespaltener Mensch kann sich diesen persönlichen Charakterbau und Lebensrhythmus gar nicht vorstellen. Er hat Wohlgefallen an dem eigenen inneren "Vielerlei" und deutet seinen Zustand, als eine "höhere Differenzierung des Geistes". Er besitzt gleichsam mehrere Zentren nebeneinander, schwört keinem von ihnen die Treue und scheint somit über jeden Verrat erhaben zu sein. Wird eines von diesen Zentren unbequem oder unhaltbar, dann zieht er in eine andere "Wohnung" und richtet sich wieder bequem ein, durch nichts gebunden, zu allem bereit, an nichts glaubend, nichts liebend, alles leicht verratend und selbstzufrieden. Dabei weiß er nur zu wenig von seiner wirklichen Lage und von seiner großen Not.

Diese Spaltung des heutigen Menschen ist in der Zeit entstanden, als er die autoritäte Religion ablehnte und sich dem freien Forschen und dem freien Denken ergab. Das freie Forschen wäre an sich mit der christlichen Religion durchaus nicht unvereinbar. Im Gegenteil_ es dürfte dem Menschen von Gott gewährt sein, die göttliche Offenbarung nicht allein aus der heiligen Schrift und nicht nur im inneren Lebenshauch, als Liebe, Gewissen und freies Geistsein, sondern auch in der Kontemplation der geschaffenen Kreatur und ihres verborgenen Wesens in Andacht wahrzunehmen. Aber geschichtlich gestaltete sich die Entwicklung als säkularisierendes Auseinandergehen: die Kirche hatte kein Vertrauen zum frei forschenden Menschen und der forschende Mensch empfand die Bevormundung der Kirche als Last. Er wandte sich an die Natur mit gespannter Neugierde und vergaß, die christliche Liebe mitzunehmen. Er widmete sich der Naturbeobachtung, pflegte dieselbe mit herrlichem Eifer und verlernte in der Beobachtung der sinnlichen Welt die christliche Kontemplation. Er schüttelte die religiösen Prämissen als empirisch unbrauchbare Voraussetzungen oder gar Hemmungen ab und suchte alles ohne Gott zu verstehen und zu erklären. Den Begriff "Gott" konnte er als erklärende Hypothese nicht mehr brauchen und stellte fest, daß seine "Erklärungen" umso besser gelingen, je mehr er das Göttliche überhaupt ausschaltet. Und nur die Philosophen versuchten noch von Gott zu reden, indem auch ihre Aussagen immer spärlicher wurden, sich immer mehr von rationalistischen Verboten und Konsequenz-Forderungen einschüchtern ließen, und nach und nach das Problem der Substanz überhaupt ausschalteten.

So wurde allmählich aus der christlichen Herzensschau, aus der Gott-liebenden und Gott-erforschenden kontemplativen Vernunft, ein abstrahierender Verstand, ein trockenes, beobachtendes und analysierendes Denken, eine herzlose Induktion ohne Schau und Einfühlung. An der äußeren Natur ausgetragen, wurde die Methode alsdann auf die innere, seelisch-geistige Welt übertragen und angewandt, und wirkte sich verheerend aus. Die äußeren Zusammenhänge der sinnlichen Welt wurden erfaßt und verwertet; das spärliche Beobachten bewährte sich hier vom Standpunkt der Technik (nicht der eigentlichen Wahrheit!). Aber die inneren Realitäten des Geistes und die feinen Zusammenhänge der menschlichen Seele gingen unter einem eisigen Hauch der mechanizistischen Weltanschauung verloren. Der gespaltene Mensch schuf eine gespaltene Doktrin über die äußere Welt und verlor die Reste seines gespaltenen Geistes in der herzlosen und schaulosen Selbstbeobachtung. Was ihm blieb, waren analysierender Verstand, entankerter und entfesselter Wille und entgeistigter Selbsterhaltungstrieb. Darüberhinaus: spöttische Ablehnung des Glaubens, falsche Scham for dem eigenen ausgetrockneten Herzen und Verachtung der schöpferischen Schau, die als "bodenloses Phantasieren" abgelehnt wurde.

Die gegenwärtige Krise ist die Krise des gespaltenen Menschen. Je früher man das einsehen wird, desto besser. Je mehr Mut man finden wird, diesen Tatbestand zu formulieren, zu beherzigen und die Konsequenzen zu ziehen, desto eher wird die Ueberwindung der Krise beginnen. Der Mensch muß sich wieder zusammenfinden. Er muß die disjecta membra, d.h. die gespalten- und außeinanderliegenden Organe des Geistes sammeln, beleben und zur neuen Synthese bringen. Die menschliche Klugheit muß sich wieder zum Glauben durchringen und die falsche Scham vor dem eigenen Herzen überwinden. Das Denken muß sich mit der schöpferischen Einbildung aussöhnen und wieder schauend, intuitiv, kontemplativ werden. Die autistische Phantasie muß die Schule der gegenständlichen Intention und der geistigen Verantwortung durchmachen. Der formale und entfesselte Wille muß sich dem Gewissen und dem Herzen unterstellen ... Dann wird der Verstand schauen lernen und zur Vernunft werden; und die kontemplative Vernunft wird dem Herzen gehorchen, sodaß alle Wege zum Herzen führen und dem Herzen entsteigen werden. Herzensschau, Gewissenswille und glaubendes Denken sind die drei großen geistigen Mächte der Zukunft, die allen Problemen des Daseins gewachsen sind, weil sie den Menschen zur schöpferischen Totalität gestalten.

Wer in die Ferne mit Hoffnung blickt der liest über der engen Pforte der Zukunft die schlichten Worte: "werde ganz!" ... -

Aus: Iwan Iljin "Blick in die Ferne", Zollikon 1945

Samstag, 12. Mai 2007

Die Flucht vor dem Licht

Es ist nicht mehr als das Vorurteil, daß jedes Wesen - der aufgehenden Sonne harrt und sich auf das dämmernde Tageslicht freut. Es gibt auch solche Geschöpfe, die das Licht scheuen und bei Sonnenhelle erblinden, die für die Nacht geboren sind, die sich vor dem Licht verkriechen und die Finsternis genießen. Der Adler öffnet sein Auge der Sonne entgegen; aber der Nachtaffe versteckt sich in seine Baumhöhle, und die Katzeneule hockt den Tag über in ihrem dunklen Ruinenloch.

So gibt es auch unter den Menschen solche, deren Blick nur geistige Nacht verträgt, nur im Einerlei der geistigen Finsternis zur Ruhe kommt und mit verkrampftem Auge jedem göttlichen Lichtstrahl begegnet. Der Eine frohlockt wenn er etwas Göttliches wahrnimmt, sei es in der Natur, oder im Menschen oder in den Räumen der übersinnlichen Schau. Der Andere fühlt sich dadurch geblendet und beunruhigt, und möchte überhaupt nichts mehr davon wissen ...

Wer von den Menschen sich in die finstere Geistlosigkeit der eigenen Seele endgültig eingelebt hat, der wird geistscheu und lichtfeindlich: er kann das Leuchten des Geistes nicht empfangen, er flieht, er höhnt, er lästert, er wird gehäßig, vielleicht sogar mordbereit. Darum weiß die Geschichte so viel über die Ermordung der guten, der besten, der geistesleuchtenden Menschen zu berichten. Und wenn jemand als Sehender auftritt und über das von ihm Gesehene berichtet, oder sich auch schweigend einfach als Lichtkundiger benimmt, soo achter er nur, daß seine Persönlichkeit nicht zum Stein des Anstoßes für alle Nachtaffen und Nachteulen werden ... Und darum muß sich jeder, der missionieren geht, zum Martyrium vorbereiten.

Menschen, bei denen das geistige Auge ungeweckt bliebt, treten ins Leben mit wachem Instinkt und mit schlafendem Geist. Sie suchen sich dementsprechend einzurichten - im Äußeren, und darum auch im Inneren: denn bei ihnen folgt das innere Leben den Ansprüchen des äußeren Nutzens und paßt sich ihnen an. So wird ihnen ihre geistige Indifferenz zum Maß für alle Wertungen und Handlungen. Geistig ziehen sie ins Leben mit geschlossenem Auge und mit gelöschtem Licht und machen zuweilen den unheimlichen Eindruck eines "fliegenden Holländers", der aus der Nacht in die Nacht als verhexter Unheilträger an uns vorbei schwebt. Übrigens spüren solche Menschen ihren eigenen Nutzen ausgezeichnet; nur in der geistigen Dimension leben sie nicht. Im Irdischen sind sie gewandt; aber zuweilen hat man das Gefühl, daß sie nichts vom Himmlischen wissen. So gehen sie durch's Leben; so handeln sie; so beurteilen sie die Welt und die Menschen. Die geistige Stockfinsternis, die in ihnen herrscht, stört sie nicht; im Gegenteil: sie wird ihnen zur Quelle des seelischen Gleichgewichtes und der Ruhe. Unvermerkt werden sie zu vollendeten Finsterlingen.

Der Finsterling genießt seine Finsternis und haßt das Licht. Er liebt seine Nacht umso mehr, als er eben Mühe hatte, diese Dunkelkammer in seinem Innersten herzustellen und sich in ihr zu behaupten. Denn nur in seltenen Fällen der vollstänigen geistigen Blindheit oder Idiotie kann es dem Menschen leicht fallen, sich endgültig in einer radikalen Gottesleugnung zu verankern und sich zu einem totalen Finsterling zu gestalten. In den meisten Fällen läßt sich der Gott-gegebene und Natur-vererbte "Geist des Instinktes" nicht ohne weiteres ignorieren. Ungeweckt bei der Erziehung, vernachläßigt im selbständigen Leben, schlummert er in der gottlosen Seele unter dem verlassenen Kellergewölbe und kann jederzeit aus eigenem Antrieb erwachen, sein freies Schauen beginnen und sein lautloses Leuchten von sich geben. Das geschieht auch. Dann wird die beruhigende Finsternis von innen durchbrochen, das seelische Gleichgewicht schwindet, alles gerät ins Wanken, wie bei einem Erdbeben, und der Menscch kommt in einen geistigen "Bürgerkrieg" mit sich selbst.

Der arme Mann schien sich herrliche ohne Gott und Geist - herrlich und zum Allesdürfen entfesselt. Er stellte sich seine mitternächtliche Souveränität vor und meinte, er hätte allen möglichen Hähnen den Hals abgedreht; und plötzlich kräht der Hahn in seinem eigenen Innern. Er hatte sich endgültig eingeredet, es gäbe kein Licht und keine Sonne; und siehe da, sein eigenes geistiges Auge, von dem er nichts wußte, durchstrahlt aus der Tiefe die düsteren Räume seines Herzens. Zuweilen genügt ein Augenblick dieses Strahlens, um das Falsche der bisherigen Einstellung zu beleuchten. Klein kommt sich dann der "Große" vor, armselig, feige, und, was am unerträglichsten ist, lächerlich. Er sieht seine ersehnte und gelobte Finsternis schwinden: denn sie kam nicht aus der Welt, sie war nicht Naturgesetz - sie war bloß sein eigenes Erzeugnis, die gewollte Luft seiner Blindheit. Er hatte sie erdichtet, weil er sie für seine geistwidrige Entfesselung brauchte. Und plötzlich sieht er das alles ein: er schaut seine objektive Nichtigkeit und kann sie nicht akzeptieren. Er sucht nach Ausweg und findet ihn nicht.

Der innere Konflikt ist schwer und schmerzlich, und zwar umso mehr, als er von stolzen Naturen einsam und wortlos ausgetragen wird.

Der stolze Mann fühlt sich bloßgestellt und verurteilt, und dies von einer Instanz, deren Nichtsein und deren Unwert er sich sein Leben lang eingeredet hatte; und - das Schmerzlichste - im letzten Grunde weiß er, daß diese Verurteilung zurecht besteht. Er weiß es, will es nicht zugeben und sucht sich selber das Gegenteil davon zu beweisen; und kann es nicht. Er will zurück in die beruhigende und entfesselnde Finsternis; aber die gibt es nicht mehr: ein Licht strahlt aus der Tiefe, ringt mit der Dunkelheit und verwandelt sie in eine wogende Dämmerung. Er will sich, nach wie vor, als Finsterling behaupten, aber die Dämmerung hindert ihn daran und das eigene Licht überführt ihn. Er versucht seine Vergangenheit zu rechtfertigen und seine Selbst-Apologie zusammenzustellen; und scheitert auch daran. Er möchte das Licht auslöschen, oder es wenigstens eindämmen, verdächtigen, sich ausreden - und das gelingt ihm nicht. Das kränkt ihn bis ins Tiefste. Aus dieser Kränkung entsteht ein Haß, der sich zu entladen sucht; am wem? Aus dieser Erniedrigung erwächst ein nagender Neid - gegen alles, was Licht ist, gegen alle, die das Licht tragen, ausstrahlen oder genießen. Neid und Haß erzeugen den Durst nach Rache; und die Rache ruft zum Mord.

Die Tragödie des Finsterlings, der in den Strahlen des Lichtes steht, ist bitter und tief. Er kann weder das Licht annehmen, noch in seine frühere Finsternis zurückkehren. Es beibt ihm nichts anderes, als sich gegen das Licht aufzulehnen: sich im Glanz seines Unrechtes zu zeigen und sich als den mächtigen Lichtfeind zu erweisen. Er betritt also den Weg des gestürzten Engels. Kann er das Licht nicht empfangen, so will er jetzt der "Finster-Mächtige" werden; denn die Nacht hat auch ihre Macht und ihre Größe. Jetzt gilt es, sich zu behaupten und alles herauszufordern - Gott und die Welt, und das Licht, jede wahre Qualität und alle Menschen. Jetzt gilt es die Finsternis zu erheben und das Laster zu rechtfertigen; und nocht mehr: das Licht bloßzustellen und womöglich eingehen zu lassen, damit es nicht mehr leuchte und damit keiner es trage und genieße. Das dämonische Element rührt sich in ihm und gönnt ihm keine Ruhe: er muß zum Widersacher Gottes werden.

Er sieht sich zwischen drei Lichtquellen und alle drei sind ihm unerträglich: das herrliche Licht Gottes, die innere Flamme seines eigenen Gewissens und das irdische Leuchten des Propheten.

Aber das Licht Gottes ist durch nichts zu erreichen: gütig und mächtig durchstrahlt und überstrahlt es alles Seiende, aus einer geheimnisvollen Ferne, die zugleich in aller nächster Nähe wirkt und leuchtet. Da kann er sich nur abwenden und in den Dienst der finsteren Macht stellen.

Dann beginnt er ein hoffnungsloses Ringen mit dem eigenen Gewissen, mit dem Geist seines eigenen Instinktes. Er sucht diese innere Lichtmacht durch sophistische Klügeleien zu überwinden, durch immer neue, finstere Taten zu erschöpfen, durch inneren Rausch und äußeren Lärm zu übertönen; und beruhigt sich nur insofern und nur so lange, bis es ihm gelingt. Aber endgültig wird es ihm nicht gelingen. Dann kommt er in Verzweiflung, zumal er zwischen allen drei Mächten, die in Wirklichkeit Eines sind, eine inhaltliche "Verwandtschaft" und eine ständige "Zusammenarbeit" spürt ...

Also bleibt ihm nur, seine Verzweiflung an dem Propheten in seiner irdischen Gestalt, auszutoben. Dann kommt es so weit, daß die Finsterlinge sich verschwören und gemeinsam ihr Werk zu vollbringen suchen: hier stürzen sie durch Ränke und Verleumdungen den leuchtenden Rivalen, dort versuchen sie alle Heiligtümer in Trümmer zu legen, am dritten Ort - einen genialen Menschen hinzurichten, überall das Licht auszublasen und womöglich die ganze Welt mit Lüge zu überfluten und in Dämmerung einzuhüllen. Und die besten Menschen fallen ihnen zum Opfer.

Das gelingt ihnen um so leichter, da es ja so viele Durchschnittsmenschen gibt, die an und für sich zu den Finsterlingen gar nicht gehören, bloß mit ihren Minderwertigkeits-Gefühlen nicht fertig werden und daher dem Neid verfallen. Niemand will sich klein, dumm, häßlich oder sonst irgendwie zurückgestellt sehen; und jeder hat Augenblicke im Leben, wo er seine Grenzen und seine Unzulänglichkeit einsehen und ehrlich zugeben muß. Dann kommt über ihn die Gefahr des Neides und er hat etwa denselben inneren Kampf, wie der große Finsterling, nur im kleinen Maßstabe auszutragen. Und wenn der Neid nicht überwunden wird, so verkriecht er sich in die Dämmerung des Unbewußten und verwandelt sich in ein unruhiges Spähen nach fremder Größe, Gabe und Tugend; - in eine Scheelsucht, mit der ewigen Bereitschaft, sich an dem Heruntermachen des Excellenten zu beteiligen. "Schönheit strahlt heilige Triebe in die Seelen", sagte einmal Wieland. Und Schiller vollendete diese Beobachtung: "Es liebt die Welt das Strahlende zu schwärzen." .... Da schließen sich viele kleine Neidlinge zusammen, finden den größeren und bösen Neidhart, unterstellen sich ihm, und verrichten ihr böses Werk. Einzeln oder in Scharen überfällt man die besten Menschen, um sie doch einmal los zu werden und ungehindert die Luft der alltäglichen Dämmerung oder der vollendeten Finsternis atmen zu können.

Schon die prähistorische Welt wußte darüber mit Entsetzen und Schmerz zu berichten. Der unfromme Kain soll aus Neid und Haß seinen Bruder, den frommen Abel erschlagen haben; und die Erde öffnete zum ersten Mal ihren Schlund, um ein unschuldiges Blut zu empfangen. - Der leidenschaftlich-rohe und widerspenstig-böse Dämon Set soll sich seines göttlichen Bruders, des Königs Osiris, listig und verräterisch bemächtigt und ihn in vierzehn Teile zerstückelt haben; und die leuchtende Gestalt des Osiris wurde von den Ägyptern als Sonnengottheit und als Auferstehungs-Omen gefeiert, Set aber wurde in die unterirdische Finsternis versetzt. Dies die zwei berühmtesten Visionen, der vorgeschichtlichen Zeit, um die biblischen Propheten nicht zu benennen.

Dann kommen die geschichtlichen Vergehen der Neider an den Lichtträgern. Diogenes Laertius berichtet uns, wie der große epheser Philosoph Heraklites die Verbannung seines Freundes Hermodoros erlebte: "Die Epheser", sagte er, "verdienen, daß alle ihre Erwachsenen insgesamt sterben und die Stadt den Unvolljährigen überlassen, dafür, daß sie ihren besten Menschen Hermodoros verbannten, indem sie sagten - es sei unter uns keiner der Beste, gibt es aber einen solchen, so möge er anderswo und mit anderen leben - ...".

Diesen Wunsch, den Besten los zu werden, schildert auch Plutarch in der Lebensbeschreibung des Aristides: "Als damals über Aristides abgestimmt wurde, reichte, wie man es erzählt, ein dummer Bauer, der nicht einmal die Buchstaben kannte, dem Aristides, den er für einen gemeinen Mann ansah, seine Scherbe hin und bat ihn, den Namen Aristides darau zu schreiben. Dieser fragte ihn mit Verwunderung, ob ihm denn Aristides etwas zuleide getan habe. "Gar nichts", antwortete er, "ich kenne den Mann nicht einmal, aber es ärgert mich, daß ich ihn überall den Gerechten nennen höre". So schrieb nun Aristides, ohne ein Wort zu erwidern, seinen Namen auf die Scherbe und gab sie ihm zurück". Und da es auch in Athen viel zu viel solcher Neider und Finsterlinge gab, so wurde Aristides für seine Gerechtigkeit verbannt.

Daß einer der größten Weltweisen, Sokrates, vom Athener Volk in ähnlicher Weise zum Tode verurteilt wurde, ist bekannt. Dabei wußte er, daß er nicht bloß von seinen Anhängern allein bekämpft wird, und daß er nicht als einziger dieses Schicksal zu tragen hat: "Wird man mich überwältigen", sagte er, "so werden es nicht Melites und Anites sein, sondern die Verleumdung und die Feindschaft der Masse. Sie haben schon noch viele andere, ausgezeichnete Männer überwältigt; es scheint mir, daß sie auch im weiteren überwältigen werden: man darf sich nicht wundern, daß es an mir nicht Halt machen wird ...". Sokrates kannte wohl das Gesetz der geistigen Finsternis, daß sie sich nämlich ausbreiten will und nicht zur Ruhe kommt, bevor sie alle Leuchten umstößt. Er wußte aber auch, daß der gute Mensch, der Lichtträger, weder im Leben, noch auch nach dem Tode Böses zu gewärtigen hat: denn das Leuchtende auf Erden wandelt im Licht und geht nach dem Tode in die Gefilde des Lichtes.

Sollten wir, dürften wir, Christen, bei diesen Erwägungen unseres Heilandes gedenken? Daß nämlich die irdische Stockfinsternis sich gegen das verkörperte Licht Gottes erhob und ihm das irdische Leben unter Qualen nahm? Dürften wir alsdann der christlichen Märtyrer, die bis auf heute leuchten und heute noch in die Gefilde des Lichts entschwinden, vergessen? ...

Der Finsterling kann sich mit dem Sein Gottes nicht abfinden. Er kann sein Licht nicht empfangen; er kann an seiner Güte und Liebe keine Freude haben. Er erhebt sich, um das Licht auszulöschen, weil er im Lichte sein eigenes Sein nicht behaupten und nicht fortsetzen kann. Er vergibt dem Licht keinen einzigen Lichtstrahl und solange er Versöhnung und Dank nicht gelernt hat, wird er seine Nichtigkeit an der Fülle und Güte Gottes rächen wollen. Möge das Licht in beliebiger irdischer Form erscheinen, möge es aus der persönlichen Güte, oder aus der politischen Gerechtigkeit, oder aus der religiösen Propheten-Evidenz, oder aus dem genialen Kunstwerk leuchten, - er haßt und neidet, er lästert und flieht vor dem Licht. Denn das, was er dem Lichtträger zufügt, möge es Verleumdung, Verbannung oder Hinrichtung sein, - ist nichts anderes als Auswirkung seiner eigenen Ohnmacht, als Flucht vor dem Licht, dessen Sieg von Anfang an auf göttlichen Wegen gewährleistet ist.

Aus: Iwan Iljin, "Blick in die Ferne", 1945

Mittwoch, 9. Mai 2007

Iwan Iljin: Vom nationalen Dünkel

Vom nationalen Dünkel

Aus dem Tagebuch eines Patrioten

Daß der Mensch sein Vaterland liebt und seinem Volke die Treue hält, ist natürlich, würdig und gut. Wie dürfte es anders sein? Wie könnte es anders werden? Er gleicht dem Baum, der seine Erdscholle mit allen Wurzeln umklammert, aus ihr seine Nahrung holt und sie nur dann verläßt, wenn ihm die Wurzeln abgehauen werden. Er gleicht dem Sohn, der sein Bestes von seiner Mutter erhalten hat - Leben, Gesundheit und die Kraft seines Geistes - und also die Substanz seiner Mutter in sich trägt. Zwischen dem Patrioten und seinem Vaterland besteht eine geheimnisvolle geistige Identität, so daß der Patriot sein "Land" in sich trägt und das "Land" im Patrioten sein schaffendes Organ behauptet.

Jeder wahre Patriot spricht stillschweigend zu seinem Volke: "Ich bin dein. Ich bin aus deinem Schoße fleischlich und geistig enstanden. Es flammt in mir derselbe Geist, der in meinen Ahnen glühte. Mich führt dein Selbsterhaltungstrieb, derselbe, der dich durch alles Schwierigkeiten und Nöte deiner Geschichte leitete. Der Seufzer in meiner Brust ist dein Seufzer; und stöhntest du, so stöhnt es auch in meiner Brust. Durch deine Kraft bin ich selbst stark und darum dient meine Stärke deiner Sache. Ich bin mit dir zu einem Wir verbunden. Ich glaube an deine Macht und an deine schöpferischen Wege. Deine Sprache ist meine Sprache; und wenn ich schaffe, so schaffe ich nach deiner Art und Weise. Ich lebe mit dir; ich schaue und denke wie du; ich wäre so froh, alle deine Gaben und Fähigkeiten zu besitzen; und es ist nur mit verborgenem Schmerz, daß ich an deine Schwächen und Unvollkommenheiten denke. Dein Staatsinteresse ist das meinige. Ich bin stolz, mich an deinem Ruhm beteiligen zu dürfen; aber nagender Kummer spannt mir das Herz, wenn ein Unglück über dich kommt oder du darniederliegst. Deine Freunde sind meine Freunde; und deine Feinde sind die meinigen. Dir gehört mein Leben und mir gehören deine Lande. Deine treue Armee ist meine Armee und wer sich an deiner Ehre vergreift, entehrt mich selber. Ich habe dich nicht auserkoren; du hast mich in deinem Schoße ausgetragen, geschützt und erzogen; aber von dir geboren und beschenkt, habe ich dich in Dank und Demut anerkannt, und treu und frei in mein Herz eingeschlossen. So sind wir eines geworden; so sind wir lebendige Identität" ...

Wenn das Herz des Patrioten zu seinem Volke in dieser Weise wortlos redet, so hat es recht und stellt eine der bedeutendsten und schöpferisch fruchtbarsten Beziehungen des irdischen Lebens her. Und wenn der Patriot so redet und handelt, so wäre es ungerecht, ihm einen nationalen Dünkel vorzuwerfen. Denn der Dünkel ist nicht Liebe und treue Gemeinschaft, sondern Überheblichkeit; und ein Patriot braucht durchaus nicht überheblich zu sein. Der Dünkel kommt aus einer Blendung und schafft eine Illusion. Der wahre Patriotismus ist aber durchaus keine Blendung und hütet sich wohl vor irgendwelchen Illusionen: im Gegenteil, er ist berufen, realistisch zu schauen, zu werten und zu handeln. Wer realistisch schaut, der sieht die Sachen so, wie sie sind: er sieht sein eigenes Volk in seiner Stärke und in seiner Schwäche; und er sieht auch die anderen Völker in ihren Fehlern und ihren Errungenschaften. Was jeder Patriot haben muß, ist: Flamme im Herzen und nüchterner Blick, Gott behüte ihn vor Überheblichkeit und nationalem Größenwahn. Denn mit der naiven Überheblichkeit beginnt der nationale Dünkel; und im politischen Größenwahn findet er seinen katastrophalen Höhepunkt.

Liebe ich mein Volk, so will ich es richtig kennen: seinen geschichtlichen Werdegang und seine Gefahren, die Eigenart seines Characters, seine territoriale, politische und wirtschaftliche Problematik, die Struktur seines geistigen Aktes, alles - seine nationalen Tugenden und seine Laster, seine Errungenschaften und seinen Rückstand, alles, was ihm eignet, was es angeht, was ihm fehlt. Ich suche es richtig zu erkennen und gerecht zu schätzen: nichts zu verkennen, nichts zu überschätzen und nichts zu unterschätzen. Das Gute ist gut; es muß wachsen und gedeihen. Das Schlechte ist schlecht; es muß durch neue Volkserziehung überwunden werden. Habe ich mein Volk erkannt, so werde ich ihm nichts verheimlichen: ich werde das Gute rechtfertigen, damit man weiß, was zu pflegen ist; ich werde aber das Schlechte nicht verschweigen, sondern es feststellen, zeigen und schildern, seinen Gründen und Quellen nachgehen, eine Besinnung im Volk hervorzurufen suchen, eine Läuterung anspinnen, eine Überwindung anbahnen.

Die Liebe darf nicht blind sein; im Gegenteil, sie muß das Auge des Liebenden klar und weitsichtig machen. Das geliebte Volk darf nicht in naiver Weise idealisiert werden. Das braucht es auch nicht. Der wahre Dienst am Volk besteht nicht in demagogischer Verherrlichung, in Schmeichelei und nationaler Überheblichkeit, sondern vielmehr in nüchterner, sachlicher Beurteilung und im klaren Nachweis der Fehler und Mängel. Hier liegt historisch der Unterschied zwischen nationaler Demagogie und nationalem Prophetentum: der Demagoge ist Brunnenvergifter und der Prophet ist Erzieher. Die Erziehung führt aber nicht zum blinden Dünkel, sondern in der Richtung der Bescheidenheit, der Besinnung und der Demut.

Somit beginnt der nationale Dünkel da, wo das Volk im primitiven Selbstbewußtsein stecken bleibt und wo auch seine Propheten, Ideologen und Erzieher dieses primitive Selbstbewußtsein nicht zu überwinden verstehen.

Das primitive Selbstbewußsein besteht darin, daß der Mensch durch seine Selbstwahrnehmung gefesselt wird und es nicht weiter bringt. Das, was er in sich selbst und als zu sich gehörend wahrnimmt, scheint ihm dermaßen wichtig und vollendet zu sein, daß er über diese Grenzen hinaus nicht mehr will. Das Eigene nimmt seine Aufmerksamkeit und Liebe in Anspruch. Sein Ich wird ihm zum lebendigen und einzigen Zentrum seiner Lust, seines Wollens, seiner Mühe und Freude; an der eigenen Realität zweifelt er nicht, das Übrige wird ihm mindestens problematisch und unwichtig. Es geht ihm etwa so, wie bei Andersen der alten Ente und der alten Katze, die hinter dem warmen Ofen kauerten und sich selbst für die halbe Welt und zwar für die beste Hälfte der Welt hielten. Darus entsteht im Alltagsleben ein lästiger Egoismus; der Psychopathologe hätte hier von "Autismus" und "Autoerotismus" gesprochen; der Philosoph hätte die Begriffe "Egozentrismus" und "Solipsismus" zur Anwendung gebracht; im sozialen Leben entsteht daraus eine engherzige Klassenpolitik, und im Völkerleben - nationaler Dünkel.

Der Mensch mit primitivem Selbstbewußtsein empfindet wohl die "eigene Haut", versteht aber aus der eigenen Haut in die fremde nicht zu fahren. Zuweilen ahnt er auch nicht, daß es überhaupt möglich ist und wie man es beginnt. Er ist naiv in seinem Egozentrismus. Sein "Ego" ist ihm alles; seine Welt, sein Hort, sein Ziel, sein Stolz. Einfühlung in andere Menschen und Völker übt er nicht; wozu täte er das auch? Darum weiß er auch so wenig von Nachempfinden, von Mitleid, von Takt und schließlich auch von Rücksicht. Er ist die Hauptursache im Leben und in der Welt; das Übrige ist unwichtig. Das Übrige bildet nur das Mileu, in dem er glänzt. Das war nämlich die grundlegende Idee von Max Stirner, diesem unnaivem Apologeten des amoralisch-praktischen Solipsismus, als er den "Einzigen und sein Eigentum" predigte; und wenn man sein Buch aufmerksam zu Ende gelesen hat, so staunt man über den vollständigen Mangel an Selbst-Humor (humor sui), den das Buch aufzeigt.

Etwa so geht es auch dem Volk mit primitivem Sebstbewußtsein: es verfällt dem nationalen Dünkel, in dem zugleich Naivität und Anmaßung zum Vorschein kommen. Der nationale Dünkel entsteht aus dem Gefesseltsein durh das Eigene. Einmal entstanden, schöpft er seine Kraft aus zwei gesunden, aber bei Rücksichtslosigkeit gefährlichen Trieben: aus dem Selbsterhaltungstrieb und dem Geltungstrieb. Der Selbsterhaltungtrieb gibt dem nationalen Dünkel den Schwung und dem Stoff seiner Anmaßung; der Geltungstrieb entstellt seine Wert-Urteile und treibt ihn in die Überheblichkeit. Daraus erwächst eine gewaltige Selbstüberschätzung und eine Unterschätzung anderer Völker. Die anderen Völker scheinen dem Dünkelhaften wenig wert zu sein: entweder sind sie eine Wiederholung seiner, dann sind sie überflüssig und brauchen nicht selbständig zu bleiben; oder aber sind sie Völker niedrigeren Ranges, dann dürfen sie dem erstrangigen Volk nicht im Wege stehen. Jedenfalls ist seine Einfühlung in das Leben und Schaffen des Anderen nicht angebracht, nicht zu empfehlen, denn sie wäre so viel, wie "Verrat" an dem eigenen. Die anderen Völker sind nicht mehr als Forschungsobjekt und zwar für den Fall der heranreifenden Unfreundlichkeiten; sie sind jedoch durchaus keine lebensberechtigten und selbständigen Subjekte, die zum freien Umgang geschaffen sind. Daraus entsteht eine eigenartige Unkenntnis der anderen Völker, eine Verständnislosigkeit, eine Anhäufung von Illusionen und von diplomatischen Fehlern, was wiederum den nationalen Dünkel stärkt und steigert.

Auf diese Weise wird alles überheblich und anmaßend: die Liebe zum Vaterland, der Stolz auf die großen Schöpfer der nationalen Kultur, die Wertung der eigenen Volkskraft, die Beziehung zu den umgebenden Völkern. Wenn aber auch die Erzieher und Propheten des Volkes von diesem Dünkel ergriffen werden, dann kann die Überschätzung zu einem richtigen Größenwahn auswachsen; und es fehlt dem Volk und seinen Erziehern an mäßigendem und läuternden Selbst-Humor, so rollt der Karren des Dünkels unaufhaltsam einer Katastrophe entgegen. Dann bildet sich die traurige Lehre vom historischen Hauptvolk und seiner Weltmission. Und vor diesem Hauptvolk stehen die übrigen Völker als eine Reihe von lästigen Hindernissen oder von geschichtlichen Mißverständnissen da ... -

In Wirklichkeit aber ist die Menschenwelt mit einem Garten Gottes zu vergleichen. Wohl weiß der ewige Gärtner, welche Blumen, wann und wo er gepflanzt hat und in der Zukunft noch pflanzen wird. Seine hohen Pläne hält er aber geheim und gestattet uns keinen Einblick in seine Absichten. Und jedes Volk, als Blume Gottes, hat Sorge zu tragen, daß seine Blüte am besten ausfalle und seine Gärtner mit schönstem Duft preise. Aber keine Blume hat irgend einen Grund, sich für die Hauptblume des göttlichen Gartens zu halten und die anderen Blumen zu verachten und zu überwuchern.

Es ist uns vorenthalten zu wissen, ob es wirklich in diesem Welt-Eden Hauptblumen zum Wuchern und wertlose Blümchen für den Misthaufen der Geschichte gibt. Sicher ist jedoch, daß eine wirkliche Hauptblume Gottes dem Dünkel nicht verfallen wird und daß eine überhebliche Blume kein Wohlgefallen finden kann.

Aus: Iwan Iljin, "Blick in die Ferne", 1945

Samstag, 28. April 2007

Wer fünf mal am Tag beten muß ...

Wer fünf mal am Tag beten muß, weil er andernfalls das Höllenfeuer fürchten muß, hat natürlich keine Zeit Deutsch zu lernen

Ein Erlebnis mit einer Kulturbereicherin. Im Hinterhof der Mietskaserne in der ich wohne, ist ein Spielplatz, an dem bisher noch keine Kulturbereicherer waren. Heute schau' ich aus dem Fenster und sehe eine Schleiereule ihr Kind hüten. Daneben eine dt. Frau, die auch bei ihrem Kind war. Ich bin hingegangen, um der Schleiereule zu sagen, daß Fasching längst vorbei ist. Leider verstand sie überhaupt kein Deutsch, so daß sie nur verlegen-freundlich lächeln konnte. Die dt. Frau wußte erst gar nicht was sie sagen sollte und murmelte irgendwas von "jeder hat seine Kultur". Nachdem also wenigstens sie offen für ein Gespräch war, habe ich mein Leid geklagt, daß diese Mohammedanerin nicht mal Deutsch sprechen kann und daß ich ihr deshalb nicht erklären kann, daß ihre Kinder unverschleierte Frauen höchstwahrscheinlich mal als Schlampen sehen werden. Da mußte sie mir recht geben. Hab dann der Schleiereule noch mal mit Händen und Füßen versucht, klar zu machen, daß es ein großes Problem darstellt, wenn sie hier in unser Land kommen, sich mit ihren Sitten breitmachen und dann nicht mal die dt. Sprache sprechen. Ich war bei alledem sehr freundlich, weil diese junge Frau hat durchaus einen netten Eindruck machte

Sagt: Wie soll man denn den Dialog mit dem Islam führen, wenn die Kulturbereicherinnen nicht mal mit uns reden können? Sollte man nicht vielleicht versuchen, bei solchen Gelegenheiten ihnen ein wenig Deutsch beizubringen? Oder sollte man immer ein paar Flugblätter mit dabei haben, in denen auf farsi, türkisch und arabisch in kurzen Worten erklärt wird, was Fasching ist und warum Gefahr droht, daß die Kinder der Kulturbereicherer unverschleierte Frauen als Schlampen sehen und sie dann womöglich zu Vergewaltigern werden?

Mittwoch, 4. April 2007

Offener Brief an Henryk M. Broder

Lieber Herr Broder,

in "ZUENDER: Hurra, wir umarmen sie!" lese ich, daß Sie sich die Frage stellen, wie sich der latente Antisemitismus bei den Grünen erklärt. Eine vollständige Analyse hierzu kann ich zwar leider auch nicht bieten, ich würde aber meinen, daß mein Beitrag im offenen Forum der Grünen "Kirchenkampf und Altes Testament" einiges an Denkanstößen enthält. Man hat mir jetzt zwar die Benutzerkennung in diesem Forum gesperrt, aber das Bild nimmt für mich mittlerweile scharfe Umrisse an:

(1) Die Geschichtsaufarbeitung, wie sie in den Medien stattfindet, ist leider so allgemein und nichtssagend, daß niemandem auffällt, daß das Alte Testament die Scheidelinie zwischen Deutsch-Christen und Bekennender Kirche während des Kirchenkampfes in der Nazizeit war. Es kam schließlich nicht von ungefähr, daß man in deutsch-christlichen Kreisen Jesus zum Arier erklären wollte und das kann man eben nur, wenn man das Alte Testament "entsorgt".

(2) Wenn man die heutige Debatte um religiösen Extremismus verfolgt, fällt gleichermaßen auf, daß das Bekenntnis zum Wert des Alten Testaments heute als Kennzeichen für christlichen Fundamentalismus gilt. Ich will nicht abstreiten, daß das hier und da gerechtfertigt ist, aber wenn ich die Fundamentalismus-Frage im Zusammenhang mit Annekdoten wie "Freitag: Heim ins Reich" betrachte, dann bekenne ich mich gerne, ein "Fundamentalist" zu sein, wobei ich meine, daß unbeugsam in Glaubenssachen die bessere Umschreibung hierfür ist.

Grüße aus Bayern

Freitag, 30. März 2007

Grüne Gleichschaltung

Folgender Beitrag im "offenen" Forum der Grünen hat zur Sperrung meiner Benutzerkennung geführt:

Wollte zwar hier nicht mehr schreiben, aber das kann ich mir dann doch nicht verkneifen: Die mittlerweile überall zu hörende pauschale Verurteilung von Inhalten aus dem Alten Testament ist nicht nur dümmlich, sondern weckt auch schlimme Erinnerungen an die Zeit des Nationalsozialismus. Zwischen 1933 und 1945 waren Lesungen aus dem Alten Testament nämlich die Scheidemarke zwischen Deutsch-Christen und der Bekennenden Kirche, die der Gleichschaltung widerstand! Hier ein Beleg, der auch denjenigen, die die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte zu ihrem Glaubensbekenntnis gemacht haben, etwas sagen sollte:

Der Besitzer, an jenem Morgen vertrieben, verbarg sich im Wald, seine Kinder waren bei anderen polnischen Familien. Die Finks nahmen auf abenteuerlichen Wegen Kontakt auf und versorgten ihn und andere. Die zwei Knechte und drei Mägde wurden wieder auf den Hof geholt. Mit ihnen durften Deutsche nicht unter einem Dach wohnen oder an einem Tisch essen, das war eine Anordnung, der Kreisbauernführer kontrollierte sie. "Es gab einen großen Tisch für zehn Personen, der bestand aus zwei Teilen, meine Mutter rückte sie um zehn Zentimeter auseinander und sagte gütig: Nun ist es nicht mehr ein Tisch. Die Episode fiel mir als Siebenjährigem sehr auf. Meine Eltern haben sich menschlich gegenüber den Polen verhalten, damit sie vor Gott bestehen konnten. Aber die Scham muss ja da gewesen sein, die haben sie unterdrückt in sich. Für meine Mutter kam der Zusammenbruch, als mein älterer Bruder mit seinen 18 Jahren gefallen war. Sie erstarrte und verstummte. Die Eltern fuhren sie von da an mit dem Kutschenwagen bis Posen zu einer Gemeinde der Bekennenden Kirche. Die im Nachbardorf gelegene war Deutsch-Christlich, es wurde da kein Altes Testament mehr gelesen. In religiösen Fragen waren sie unbeugsam." (Freitag - die Ost-West Wochenzeitung, "Heim ins Reich")

Daran, daß man diejenigen, die damals der Ideologie des Nationalsozialismus widerstanden haben, heute als Fundamentalisten diffamiert, habe ich keinen Zweifel mehr. Was für eine Heuchelei und wieder mal geht es gegen Polen, wie im soeben von der Redaktion geschlossenen Thema! Die damalige Gleichschaltung wurde mit Inhalten aus Hitlers Hetzschrift "Mein Kampf" begründet, heute ist es das Dogma der "unveräußerlichen Menschenrechte", das man sich als moralisches Mäntelchen umhängt, um seine Blöße zu verdecken, während man der allgemeinen Gleichschaltung wissentlich das Wort redet.

Grüße,
...

Sonntag, 18. März 2007

Antiquarisches

Vladimir Solovjev

Kurze Erzählung vom Antichrist

Russland, 1899


Das Mongolenjoch




Das zwanzigste Jahrhundert nach der Geburt Christi war das Zeitalter der letzten großen Kriege, innerer Zwiste und Umwälzungen. Der bedeutendste dieser äußeren Kriege war aus jener geistigen Bewegung entstanden, die gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts in Japan aufgekommen war. Man nannte diese Bewegung den Panmongolismus.

In jeder Hinsicht zur Nachahmung begabt, nahmen die Japaner schnell und mit überraschendem Erfolg die äußeren Formen der Kultur Europas an, wobei sie sich auch einige europäische Ideen von untergeordneter Bedeutung zunutze machten. So hatten sie durch Zeitungen und geschichtliche Lehrbücher vom Bestehen des Panhellenismus, Pangermanismus, Panslawismus und Panislamismus in Europa gehört und proklamierten daher ihrerseits die große Idee des Panmongolismus, das heißt der Vereinigung aller Völker Ostasiens unter ihrer Führung. Das Hauptziel dieser Vereinigung sollte der Entscheidungs­kampf gegen die Fremden, also die Europäer sein.

Unter Ausnützung der Tatsache, daß Europa zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts damit beschäftigt war, der Welt des Islams ein Ende zu bereiten, begannen die Japaner mit der Verwirklichung ihres großen Programms. Sie nahmen zuerst Korea ein, später Peking, wo sie unter Mithilfe der fortschrittlichen Partei Chinas die alte Mandschu-Dynastie stürzten und diese durch eine japanische ersetzten. Es gelang ihnen auch, sich rasch mit den chinesischen Konservativen zu verständigen. Diese begriffen, daß es gut sei, von zwei Übeln das kleinere zu wählen, und daß unter Umständen ein Verwandter auch ein Bruder sein kann.

Die staatliche Unabhängigkeit des alten chinesischen Reiches konnte nicht aufrechterhalten werden; entweder mußte China sich den Europäern oder Japanern unterwerfen. Es lag auf der Hand, daß eine japanische Herrschaft in keiner Weise den Charakter des nationalen Lebens verändern könnte, auch wenn dadurch die äußeren Formen der chinesischen Regierung beseitigt würden, die sich ohnedies vor aller Augen als unzulänglich erwiesen hatten — eine Vorherrschaft europäischer Völker hingegen bedeutete schon aus Politik heraus die Unterstützung der christlichen Mission und bedrohte damit die geistigen Grundlagen Chinas.

Der Nationalhaß der Chinesen gegen die Japaner stammte aus einer Zeit, in der beiden Völkern die Europäer noch unbekannt waren. Mit deren Auftreten in Ostasien mußte diese alte Feindschaft zu einem Bruderzwist und schließlich sinnlos werden. Die Europäer waren völlig Fremde und nur Feinde. Ihre Vorherrschaft konnte in keiner Weise der Eigenliebe der Rasse schmeicheln. In den Händen Japans erblickten die Chinesen hingegen die süße Lockspeise des Panmongolismus, der zugleich in ihren Augen auch die harte Notwendigkeit rechtfertigte, sich äußerlich europäisieren zu müssen.

Ohne Unterlaß sprachen die Japaner auf sie ein: "Eigensinnige Brüder, versteht doch, daß wir die Technik der Hunde aus dem Westen übernehmen, nicht, weil wir eine Vorliebe für sie haben, sondern, um sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Wenn Ihr Euch mit uns vereinigt und unserer Führung folgt, werden wir die weißen Teufel nicht nur bald aus Asien verjagt haben, wir werden darüber hinaus ihr eigenes Gebiet erobern und erst das wahre Reich der Mitte begründen, das die Vorherrschaft über die ganze Welt haben wird. Ihr habt recht mit Eurem Nationalstolz und Eurer Verachtung der Europäer, aber es ist nur zu Eurem Schaden, wenn Ihr diese Empfindungen nur durch Träumereien nährt, statt die notwendige Tatkraft zu entfalten. Wir, die Euch in dieser Hinsicht vorausgegangen sind, wir zeigen auch Euch den Weg des gemeinsamen Interesses.

Seht doch, was Euch Eure Politik genützt hat, jene Politik der Selbstzufriedenheit und des Mißtrauens gegen uns, Eure Freunde und natürlichen Verteidiger! Es hat wenig dazu gefehlt, daß Rußland und England, Deutschland und Frankreich China zur Gänze untereinander aufgeteilt hätten. Eure mit dem Mute eines Tigers vollführten Anschläge haben nur die Wirkung des so kraftlosen Endchens eines Schlangen­schwanzes gezeigt."

Einsichtsvolle Chinesen fanden solche Überlegungen für begründet und auf diese Weise festigte die japanische Dynastie ihre Macht. Sie arbeitete naturgemäß vor allem am Aufbau einer mächtigen Armee und einer starken Flotte. Der größte Teil der japanischen Kriegsmacht wurde nach China verlegt und diente dort als Kader für das neue gewaltige Heer. Die japanischen Offiziere, die das Chinesische sprachen, waren ungleich erfolgreicher in der Ausbildung als die nunmehr entlassenen europäischen Instruktionsoffiziere. Die zahllose Bevölkerung Chinas mit der Mandschurei, der Mongolei und Tibet stellte ein unerschöpfliches Kraftreservoir zur Verfügung.

Nach kurzer Zeit schon konnte der erste Sohn des Himmels aus der japanischen Dynastie die Waffen des neu erstandenen Kaiserreiches siegreich erproben. Er vertrieb die Franzosen aus Tonking und Siam, die Engländer aus Birma und vereinigte ganz Indo-China mit dem Reich der Mitte.

Sein Nachfolger – Chinese von der Mutter her – verschmolz in seinem Charakter chinesische List und Schlauheit mit der Wendigkeit und Energie des Japaners. Er mobilisierte in Chinesisch-Turkestan eine Armee von vier Millionen Mann. Während das Zun-li-jamyn dem russischen Gesandten vertraulich mitteilte, diese Armee sei zur Eroberung Indiens bestimmt, drang der Kaiser in das russische Zentralasien ein, brachte dort die ganze Bevölkerung in Aufruhr, überschritt in Eilmärschen den Ural und überflutete mit seinen Heeresmassen Ost- und Mittelrußland. Russische Truppen aus Polen und Litauen, aus Kiew und Wilna, aus Petersburg und Finnland wurden in aller Eile alarmiert und zusammengezogen.

Da der Kriegsplan vorher nicht mehr festgelegt werden konnte, und auch der Feind an Zahl außerordentlich überlegen war, konnten die russischen Truppen ihre kriegerischen Vorzüge nur in einer wenigstens ehrenvollen Niederlage erweisen. Die Wucht des Angriffs ließ ihnen keine Zeit für einen geordneten Aufmarsch: Ein Armeekorps nach dem anderen wurde in blutigen und verzweifelten Kämpfen vernichtet. Zwar bezahlten auch die Mongolen diesen Sieg teuer, doch konnten sie ihre Verluste mühelos ersetzen; sie waren im Besitz aller Eisenbahnlinien Asiens, während eine russische Armee von zweihunderttausend Mann, die schon seit langem an der mandschurischen Grenze bereitstand, den mißlungenen Versuch machte, in das geschickt verteidigte China einzubrechen.

Der Kaiser ließ einen Teil seines Heeres in Rußland zurück, der dort die Bildung neuer Streitkräfte verhindern und die sich rasch vermehrenden Partisanenverbände verfolgen sollte, mit drei Armeen aber überschritt er selbst die Grenze Deutschlands. Hier hatte man indessen Zeit gefunden, den Widerstand vorzubereiten: Eine der mongolischen Armeen wurde vernichtend geschlagen. Aber in Frankreich gewann damals eine Partei verspäteter Revanche die Oberhand, und alsbald hatten die Deutschen eine Million Bajonette im Rücken. Die deutsche Armee geriet zwischen Hammer und Amboß. Sie sah sich gezwungen, die ehrenvollen Bedingungen der Entwaffnung anzunehmen, die ihr der Sohn des Himmels anbot.

Die Franzosen triumphierten. Sie verbrüderten sich mit den Gelben und ergossen sich über ganz Deutschland. Rasch verloren sie jedoch jede militärische Disziplin. Der Sohn des Himmels befahl seinen Truppen, die nun lästigen Bundesgenossen zu vernichten; dieser Befehl wurde mit chinesischer Gründlichkeit durchgeführt. In Paris brach ein Aufstand der Kommune aus, und freudig öffnete die Hauptstadt der westlichen Kultur ihre Tore dem Beherrscher des Ostens.

Nachdem der Sohn des Himmels so seine Neugierde befriedigt hatte, wandte er sich nach dem Kanalhafen Boulogne. Unter dem Schutze einer aus dem Pazifik eingelaufenen Flotte wurde dort eine Armada ausgerüstet, welche die mongolische Armee nach Großbritannien übersetzen sollte.

Seine Geldnot benutzten die Engländer, um sich mit einer Milliarde Pfund Sterling von einer solchen Invasion loszukaufen. Im Verlaufe eines einzigen Jahres waren alle europäischen Staaten zu Satelliten des Herrschers Asiens geworden. Nun kehrte er unter Zurücklassung einer aus- reichenden Besatzungsarmee nach dem Osten zurück, um eine Landungsexpedition gegen Amerika und Australien zu unternehmen.

Indessen geht Europa einem halben Jahrhundert des neuen Mongolenjochs entgegen.

Das Geistesleben dieser Epoche war durch eine allgemeine Vermischung gekennzeichnet, nämlich eine tiefe und wechselseitige Durchdringung europäischer und orientalischer Ideen. Kurz, es wiederholte sich im großen der antike Synkretismus nach dem Tode Alexanders. — In den äußeren Bezirken des Lebens bestimmten diese Epoche drei Tatsachen: Das Einströmen chinesischer und japanischer Arbeiter verschärfte die soziale Frage erheblich. Ihre Lösung versuchten die herrschenden Klassen durch Kompromisse zu erreichen, ohne das Übel mit der Wurzel zu beseitigen. Gleichzeitig bildeten sich Geheimorganisationen, die sich international verbanden, um die Mongolen zu vertreiben und die Unabhängigkeit Europas wiederherzustellen.

Diese gewaltige Verschwörung, an der sich auch die nationalen Regierungen beteiligten – soweit dies unter der Kontrolle der mongolischen Statthalter möglich war – wurde meisterhaft vorbereitet und gelang glänzend. Zur vereinbarten Stunde begann die Niedermetzelung der mongolischen Soldaten. Auch die asiatischen Arbeiter wurden getötet oder vertrieben. Überall kamen Kader europäischer Armeen zum Vorschein, die bis dahin im geheimen gearbeitet hatten. Die allgemeine Mobilmachung wurde nach einem seit langem bis in alle Einzelheiten vorbereiteten Plan durchgeführt.

Der neue Sohn des Himmels, ein Enkel des großen Eroberers, verließ China, um sich in aller Eile nach Rußland zu begeben. Dort aber wurden seine unzähligen Streitkräfte von der Armee des Vereinigten Europa vernichtend geschlagen. Ihre zerstreuten Überreste kehrten nach Innerasien zurück. Europa war befreit. Die fünfzigjährige Unterjochung durch die Barbaren Asiens war die Folge der Uneinigkeit eigensüchtiger National­staaten, seine große und ruhmreiche Befreiung hingegen der Erfolg einer internationalen Organisation, in der die Kräfte des ganzen Europa sich vereinigt hatten. Diese wichtige Erfahrung hatte daher auch ihre natürliche Auswirkung. Der bisherige einzelstaatliche Nationalismus verlor allgemein an Bedeutung. Zugleich stürzten fast überall die letzten Reste alter monarchischer Einrichtungen zusammen.

Im einundzwanzigsten Jahrhundert war Europa zu einer Union von mehr oder weniger demokratischen Staaten geworden: den Vereinigten Staaten von Europa.

Die Entwicklung der Zivilisation war durch den Einfall der Mongolen und durch die Anstrengungen des Befreiungskampfes gehemmt worden; nun nahm sie einen raschen Aufschwung. Die ewigen Fragen des Menschengeistes nach dem Sinn des Lebens, dem Tod und dem endlichen Schicksal der Welt waren durch die neuesten Erkenntnisse auf dem Gebiete der Physiologie und Psychologie nur noch verwickelter geworden und blieben immer noch ungelöst. Nur ein einziges, wenn auch negatives Resultat trat offen zutage: der völlige Zusammenbruch des theoretischen Materialismus.

Es konnte einen denkenden Menschen nicht mehr befriedigen, sich das Weltall als ein System kreisender Atome vorzustellen oder das Geheimnis des Lebens sich mechanisch und als Summe kleinster Veränderungen in der Materie zu erklären. Die Menschheit hatte für immer den Zustand der philosophischen Unmündigkeit hinter sich gelassen. Zugleich waren die Menschen auch über den naiven Kinderglauben, der auf die Vernunft verzichtet, hinausgewachsen.

Auch in den Elementarschulen wurde nicht mehr gelehrt, Gott habe die Welt aus dem Nichts geschaffen. Über diese Dinge waren die Auffassungen anspruchsvoller geworden und kein Dogmatismus durfte mehr unter dieses Niveau herabsinken. Aber wenn auch die Masse der denkenden Menschen jeden Glauben verloren hatte, so sahen im Gegensatz dazu die wenigen Gläubigen die Notwendigkeit ein, Denker zu werden. Sie befolgten das Wort des Apostels: "Seid Kinder dem Herzen nach, nicht nach dem Geiste!"

Der Übermensch

In jener Zeit trat unter diesen Gläubigen ein bedeutender Mann auf – viele hielten ihn für einen Übermenschen –, der weder einen primitiven Geist besaß, noch auch freilich dem Herzen nach ein Kind war. Obgleich er erst dreiunddreißig Jahre zählte, war er durch seinen Genius schon als Denker, Schriftsteller und Sozialreformer berühmt. Trotzdem er um seine große Begabung wußte, unterwarf er sich aus Überzeugung den Geboten des Geistes. So ließ ihn sein klarer Verstand stets auch die Wahrheit des Glaubens erkennen, des Glaubens an das Gute, an Gottes Dasein und an die Offenbarung des Messias. Er glaubte an dies alles, aber er liebte nur sich selbst. Er glaubte an Gott, doch im Abgrund seines Herzens gab er sich selbst unwillkürlich und ohne sich darüber Rechenschaft zu geben, vor Gott den Vorzug.

Er glaubte auch an das Gute, doch das Auge der Ewigkeit, dem nichts verborgen bleibt, sah, daß dieser Mensch sich vor der Macht des Bösen beugen würde, wenn diese ihn nur zu verführen wüßte – nicht durch Befriedigung von Gefühlen und niederen Leidenschaften, nicht einmal durch die gefährliche Versuchung der Macht – sondern allein dadurch, daß sie seiner maßlosen Selbstliebe schmeicheln würde.

Diese Selbstliebe war aber weder ein instinktiver Drang, noch eine sinnlose Anmaßung. Denn seine außerordentlichen Gaben, seine Schönheit, sein vornehmes Wesen schienen zusammen mit zahlreichen Beweisen von Enthaltsamkeit, Uneigennützigkeit und Wohltätigkeit genügend die ungeheure Selbstliebe zu rechtfertigen, die den Charakter dieses großen Spiritualisten, Asketen und Menschenfreundes bestimmte. Wer hätte ihn anklagen dürfen, daß er in der Fülle dieser Gottesgaben ein sichtbares Zeichen der Auserwählung von oben her erblickte und sich als den Zweiten nach Gott, als den in seiner Art einzigen Sohn Gottes ansah? Mit einem Wort, er hielt sich für Jenen, der in Wahrheit Christus allein ist.

Doch das Bewußtsein seiner hohen Würde war für ihn nicht eine sittliche Verpflichtung gegenüber Gott und der Welt, vielmehr ein Vorrecht gegenüber seinen Nächsten und vor allem gegenüber Christus. Nicht, daß er von Anfang an Jesus gehaßt hätte, nein, er anerkannte dessen messianische Berufung und Würde. In gutem Glauben sah er in Ihm nur seinen großen Vorläufer. Diesem von der Selbstliebe trunkenen Verstand blieb die sittliche Sendung und die einzigartige Erscheinung Christi unfaßbar.

Er urteilte so: "Christus ist vor mir gekommen, ich komme als zweiter. Was aber in der Zeit nachfolgt, ist seinem Wesen nach übergeordnet. Ich komme am Ende der Geschichte, weil ich der vollkommene und endgültige Erlöser bin. Der erste Christus ist mein Vorläufer. Seine Aufgabe war, mir vorauszugehen und meine Erscheinung vorzubereiten."

Daher bezog der große Mann des einundzwanzigsten Jahrhunderts alles auf sich, was im Evangelium von der Wiederkunft des Herrn gesagt wird. Er erklärte diese Wiederkunft nicht als die Rückkehr des ersten Christus, sondern so, daß nunmehr der Vorläufer durch den wahren Christus ersetzt würde, nämlich durch ihn selbst.

Auf dieser Stufe des Selbstbewußtseins war der kommende Mann noch wenig originell und charakterist­isch. Auch Mohammed hatte sein Verhältnis zu Christus ähnlich aufgefaßt. Und Mohammed war gerecht und konnte keiner bösen Absicht bezichtigt werden.

Im übrigen suchte dieser Mensch seine Selbsteinschätzung, mit der er sich über Christus erhob, noch durch folgende Überlegung zu rechtfertigen: "Christus hat durch Predigt und lebendiges Beispiel des Sittengesetzes die Menschheit gebessert. Ich aber bin ausersehen, der Beglücker aller Menschen zu sein, seien sie schon gebessert, seien sie unverbesserlich.

Ich werde allen Menschen das geben, dessen sie bedürfen. Christus hat als Moralist die Menschen nach Guten und Bösen geschieden, ich aber werde sie durch Wohltaten wieder vereinigen, die sowohl die Guten als auch die Bösen nötig haben. Ich werde der wahre Statthalter Gottes sein, der seine Sonne scheinen läßt für Gute und Böse in gleicher Weise, der Regen spendet den Gerechten und Ungerechten. Christus hat das Schwert gebracht, ich hingegen werde den Frieden bringen. Er bedrohte die Erde mit der Furchtbarkeit des Jüngsten Gerichtes, ich aber werde der letzte Richter sein und mein Gericht wird nicht nur Gerechtigkeit, sondern vor allem Gnade offenbaren. Gewiß wird auch mein Urteil gerecht sein, doch ich will nicht vergelten, sondern schenken. Ich kenne jeden, wie er ist, und werde ihm nach seiner Bedürftigkeit zuteilen."

In dieser erhabenen Stimmung erwartet er, Gott werde ihn ausdrücklich zu neuer Heilstat an der Menschheit berufen. Er erwartet ein sichtbares und leuchtendes Zeichen, das ihm als dem ältesten Sohn, dem geliebten Erstgeborenen Gottes Zeugnis geben werde. Er wartet und nährt seine Selbstliebe durch das Bewußtsein seiner Tugenden und seiner übernatürlichen Gaben. Denn er war ja der Mensch ohne Tadel und der Inbegriff der Genialität.

So erwartet dieser stolze Gerechte die Anerkennung des Höchsten, um die Errettung der Menschheit zu beginnen. — Aber er wird des Wartens müde. Er ist schon dreißig Jahre, doch noch vergehen drei Jahre. Da durchzuckt ihn ein Gedanke wie ein Fieberschauer bis ins Mark der Knochen: "Aber wenn? ... Wenn nicht ich es wäre, sondern der andere? ... Der Galiläer? ... Wenn er doch nicht mein Vorläufer wäre, sondern der Wahre, der Erste und der Letzte: ... Aber dann müßt Er ja leben ... Wo aber ist Er? ... Könnte Er nicht zu mir kommen? ... Gleich, hier? ... Was würde ich zu Ihm sagen? Ich müßte mich vor ihm beugen wie der einfältigste Christ ... Wie ein russischer Bauer ohne Verstand murmeln: 'Herr Jesus Christus, erbarme Dich meiner Sünden', ... oder ich müßte mich wie ein Polenweib mit ausgebreiteten Armen vor Ihm zu Boden werfen. – Ich, der erhabene Genius, ich, der Übermensch ... Nein, niemals!"

Aus seinem Herzen erhebt sich das Entsetzen und verdrängt die einstige kalte und vernünftige Achtung vor Gott. Es wächst immer mehr an und schlägt endlich in verzehrenden Neid um, der ihn bedrückt und sein ganzes Wesen erfaßt. Ein wütender Haß flammt in ihm auf: "Ich, ich bin es – nicht Er! Er ist gar nicht mehr unter den Lebenden und niemals mehr wird Er unter ihnen weilen, nie ist Er auferstanden! Verwest ist Er, verfault im Grabe wie der letzte ..."

Schaum vor dem Munde, entflieht er in jagender Hast dem Hause, dem Garten, in die unheimliche und finstere Nacht hinaus. Er eilt einen steinigen Saumpfad bergan. Allmählich legt sich seine Wut. Sie macht einer Hoffnungslosigkeit Platz, die so ausgebrannt und lastend wie diese Felsen, die so dunkel wie diese Nacht ist. Vor einem jähen Abgrund bleibt er stehen, aus der Tiefe hört er einen tosenden Wildbach, der über Geröll hinabstürzt. Eine wilde Qual preßt sein Herz.

Plötzlich rührt etwas an sein Inneres: "Soll ich Ihn beschwören, Ihn fragen, was ich tun soll?" In der Finsternis erblickt er ein sanftes und trauriges Gesicht. "Er hat Mitleid mit mir ... nein, niemals! Er ist nie auferstanden!"

Und er stürzt sich in den Abgrund.

Doch da hält ihn etwas Unfaßbares, etwas wie eine Wassersäule auf. Er fühlt eine Erschütterung wie von einem elektrischen Schlage, und eine geheimnisvolle Kraft wirft ihn zurück. Für einen Augenblick verliert er das Bewußtsein. Als er wieder zu sich kommt, liegt er wenige Schritte vor dem Abgrund auf den Knien. Vor ihm erstrahlt wie durch Nebel in phosphorischem Licht ein Gesicht. Zwei Augen bohren sich mit unerträglichem und schneidendem Glanz in seine Seele. Erstarrt unter diesem hypnotischen Blick hört er eine Stimme, ohne erraten zu können, ob sie aus seinem Innern oder von außen her kommt. Es ist eine seltsame Stimme, dumpf und dennoch klar, aber seelenlos wie schwingendes Metall.

So, als käme sie aus einer Sprechmaschine, spricht sie ihn an: "Du bist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe! Warum hast Du nicht mich gesucht? Warum hast Du jenen anderen vorgezogen, den Falschen und seinen Vater? Dein Gott und Dein Vater bin ich. Jener Bettler aber, der Gekreuzigte, ist mir und Dir fremd. Ich habe keinen anderen Sohn als Dich. Du bist der Einzige, der Eingeborene, der Ebenbürtige. Ich liebe Dich und ich fordere nichts von Dir. Du bist so schön, so groß und so mächtig. Vollbringe Dein Werk in Deinem, nicht in meinem Namen. Kein Neid gegen Dich ist in mir. Ich liebe Dich und ich will nichts von Dir. Der andere, jener, von dem Du geglaubt hast, Er sei Gott, forderte von seinem Sohn Gehorsam, unbegrenzten Gehorsam bis zum Kreuzestod — und dann verließ Er ihn. Ich aber werde Dir helfen, ohne etwas von Dir zu fordern. Aus einer uneigennützigen Liebe zu Dir, um Deiner Würde willen werde ich Dir helfen. Empfange meinen Geist! Wie einst mein Geist Dich in Schönheit hervorgehen ließ, so wird er Dich jetzt in Kraft neu erstehen lassen."

Bei diesen Worten des Geheimnisvollen öffneten sich unwillkürlich die Lippen des Übermenschen. Seinem Gesicht näherten sich die zwei durchdringenden Augen. Er fühlte, wie ein eiskaltes Feuer ihn durchströmte und sein ganzes Wesen erfüllte. Aber zugleich empfand er auch eine nie gekannte Kraft, Kühnheit, Unbeschwertheit und Begeisterung.

Im selben Augenblick erlosch die schimmernde Erscheinung und mit ihr das Augenpaar. Irgendetwas erhob den Übermenschen weit über die Erde hinaus und ließ ihn ebenso plötzlich wieder in seinem Garten, an der Schwelle des Hauses nieder.

Am nächsten Tage waren nicht nur die Besucher, sondern auch die Diener des großen Mannes erstaunt über den vergeistigten Ausdruck seines Gesichtes. Sie wären noch mehr überrascht gewesen, hätten sie sehen können, wie er, eingeschlossen in seinem Arbeitszimmer, mit übernatürlicher Schnelligkeit und Leichtigkeit sein berühmtes Werk schrieb, das den Titel trug: "Offener Weg zum Weltfrieden und allgemeinen Wohlstand."

Die früheren Schriften und die soziale Tätigkeit des Übermenschen hatten manche strenge Kritik gefunden. Doch diese Kritik war hauptsächlich von rein religiösen Menschen geübt worden, die allein schon deshalb keinen Einfluß besaßen. — Denn es ist ja von jenen Zeiten die Rede, m denen der Antichrist auftrat. Daher hatte man auch kaum auf die Kritiker gehört, die in allen Werken und Reden dieses Mannes der Zukunft Anzeichen einer außerordentlichen Selbstliebe, eines starken Dünkels und den Mangel jeder Einfachheit und wahren Herzenswärme betonten. Sein neues Werk gewann aber selbst einige seiner bisherigen Kritiker und Gegner.

Dieses Buch, unmittelbar nach dem Erlebnis am Abgrunde geschrieben, offenbarte eine vorher noch unbekannte Kraft seines Genies. Es war etwas Allumfassendes, in dem sich alle Widersprüche lösten. Hier vereinigten sich vornehme Ehrerbietung vor den Überlieferungen und Symbolen der Vergangenheit und weitgehender kühner Radikalismus in den politischen wie sozialen Sehnsüchten und Forderungen, unbegrenzte Gedankenfreiheit und tiefstes Verständnis der Mystik, bedingungsloser Individualismus mit begeisterter Hingabe an das Allgemeinwohl, erhabener Idealismus in den Prinzipien und Bestimmtheit wie Lebens­erfahrung in den praktischen Entscheidungen.

Und dies alles war durch ein so ideales Künstlertum vereinigt und verbunden, daß jeder Denker und jeder Praktiker das Ganze als seine Meinung auffassen konnte, also ohne etwas für die Wahrheit selbst zu opfern, ohne sich ihretwegen über sein eigenes Ich erheben zu müssen und ohne von seiner eigenen Befangenheit oder seinen Irrtümern ablassen und ihre Mängel berichtigen zu müssen. In kurzer Zeit wurde dieses erstaunliche Buch in alle Kultursprachen und sogar in die Sprachen mehrerer Kolonialvölker übersetzt. Ein ganzes Jahr hindurch waren die Spalten tausender Zeitungen in allen Teilen der Welt ausgefüllt mit Anpreisungen der Verleger und begeisterten Besprechungen der Kritiker. Billige, mit dem Bild des Autors ausgestattete Volksausgaben wurden in Millionen Exemplaren verbreitet. Die ganze Kulturwelt – zu dieser Zeit schon fast der ganze Erdball – war erfüllt vom Ruhme dieses unvergleichlichen, großen und einzigartigen Mannes.

Niemand widersprach diesem Buch, schien es doch tatsächlich die Offenbarung der ungeteilten Wahrheit zu sein. Hier wurde die Vergangenheit mit so viel Gerechtigkeit beurteilt, die Gegenwart so unparteiisch und allseitig gewertet, die schönere Zukunft so überzeugend und anschaulich der Gegenwart nahegebracht, daß jedermann sagte: "Das ist es, was wir nötig haben, hier ist ein Ideal, das keine Utopie und kein Hirngespinst ist." – Der begnadete Schriftsteller begeisterte nicht nur die ganze Welt, er war auch jedermann angenehm.

So erfüllte sich das Wort Christi: "Ich kam im Namen meines Vaters und Ihr nehmt mich nicht auf; ein anderer aber wird in seinem eigenen Namen kommen und diesen werdet Ihr aufnehmen." Um aufgenommen zu werden, muß man angenehm sein. Allerdings fragten sich einige gottesfürchtige Männer, die im übrigen das Buch sehr lobten, warum Christus darin nicht ein einziges Mal erwähnt würde. Darauf antworteten andere Christen: "Gott sei Dank! In den vergangenen Jahrhunderten wurde alles Heilige oft genug von unberufenen Eiferern entweiht, so daß heute ein wirklich religiöser Schriftsteller hierin sehr vorsichtig sein muß. Wenn aber der Inhalt eines Buches vom wahren Geist des Christentums, von tätiger Liebe und allumfassender Güte durchdrungen ist, was braucht es da noch mehr?" Und damit gaben sich alle zufrieden.

Das Friedensreich

des Imperators


Bald nach Erscheinen dieses Werkes, das seinen Verfasser zum volkstümlichsten Mann machte, der je gelebt hatte, sollte in Berlin die konstituierende Versammlung der Vereinigten Staaten Europas stattfinden.

Dieser Bund hatte sich nach einer Reihe äußerer und innerer Kriege gebildet, die als Folge der Befreiung vom Mongolenjoch die Karte Europas grundlegend verändert hatten. Nun aber war der Bund durch Konflikte gefährdet, die aber nicht mehr zwischen den Nationen, sondern unter den politischen und sozialen Parteien ausgetragen wurden.

Die Verantwortlichen der europäischen Gesamtpolitik – sie gehörten zur mächtigen Brüderschaft der Freimaurer – kamen zur Überzeugung, daß eine gemeinsame Exekutivmacht notwendig sei. Die europäische Einheit, die nach so vielen Anstrengungen errungen worden war, lief ständig Gefahr, wieder zu zerfallen.

Im Bundesrat oder dem Verwaltungsdirektorium (Comité Permanent Universel) herrschte keine Einstimmigkeit, da es nicht gelungen war, alle führenden Stellen mit "eingeweihten" Freimaurern zu besetzen. Im Rate selbst schlossen die unabhängigen Mitglieder untereinander Sonderabkommen und damit drohte ein neuer Krieg. Angesichts dieser Gefahr beschlossen die "eingeweihten" Freimaurer, die vollziehende Gewalt einer einzigen Person zu übertragen, welche mit hinreichenden Vollmachten ausgestattet werden sollte.

Der geeignetste Kandidat war ein insgeheimes Mitglied des Ordens, eben jener Mann der Zukunft. Er war die einzige Persönlichkeit mit weltberühmtem Namen. Durch gelehrte Arbeiten auf dem Gebiete der Artillerie und durch sein Vermögen mächtiger Kapitalist, unterhielt er überall enge Beziehungen zu Kreisen der Hochfinanz und der Armee. In weniger aufgeklärten Zeiten hätte ihm der Makel seiner Ungewissen Herkunft geschadet. Seine Mutter, eine Person von fragwürdigem Vorleben, war in beiden Hemisphären wohl bekannt und unter vielen, sehr verschiedenen Männern hatten alle das gleiche Recht, sich für seinen Vater zu halten. In einem so fortschrittlichen Jahrhundert, das sogar das letzte sein sollte, konnten ihm derartige Umstände natürlich überhaupt nicht schaden.

Fast einstimmig wurde der Mann der Zukunft auf Lebenszeit zum Präsidenten der "Vereinigten Staaten von Europa" gewählt.

Als er im überirdischen Glanz seiner jugendlichen Schönheit und Kraft auf der Tribüne erschien und mit hinreißendem Pathos sein Weltprogramm darlegte, beschloß die Versammlung in auflodernder Begeisterung, ihm die höchste Ehre zuteil werden zu lassen. Durch Zuruf wurde ihm der Titel eines römischen Imperators verliehen.

Der große Auserwählte erließ ein Manifest, das mit den Worten begann: "Völker der Erde! Meinen Frieden gebe ich Euch!" und mit den Sätzen schloß: "Völker der Erde! Die Verheißungen haben sich erfüllt! Der ewige Weltfriede ist gesichert. Jeder Versuch, ihn zu stören, wird sofort auf unüberwindlichen Widerstand stoßen. Denn von jetzt an gibt es auf der Erde nur eine einzige Macht, die stärker ist als alle anderen Mächte, mögen diese getrennt oder gemeinsam vorgehen wollen. Diese Macht ist in meiner Hand vereinigt, in der Hand des bevollmächtigten Auserwählten Europas, in der Hand des Herrschers über alle seine Kräfte. Das Völkerrecht besitzt jetzt endlich jene Sanktionen, die ihm bisher fehlten, von nun an wird kein Staat zu erklären wagen ‚Krieg!', wenn ich sage ‚Friede!' — Völker der Erde, der Friede sei mit Euch!"

Das Manifest hatte den erwünschten Erfolg. Überall außerhalb Europas, besonders aber in Amerika, bildeten sich starke imperialistische Parteien, die ihre Regierungen veranlaßten, unter verschiedenen Bedingungen mit den Vereinigten Staaten von Europa unter der Führung des Römischen Imperators Bündnisse einzugehen.

Da und dort gab es in Asien noch unabhängige Stämme und Reiche. Mit einem kleinen, aber auserlesenen Heer aus Russen, Deutschen, Polen, Ungarn und Türken unternahm der Imperator einen militärischen Spaziergang von Ostasien bis Marokko und unterwarf fast ohne Blutvergießen alle noch ungehorsamen Völker. In den Ländern beider Hemisphären setzte er seine Statthalter ein, die er unter den ihm ergebenen und europäisch gebildeten einheimischen Großen erwählte. In allen heidnischen Ländern rief ihn die Bevölkerung unter dem Eindruck seiner bezaubernden Persönlichkeit zur obersten Gottheit aus.

Ein Jahr hatte genügt, um die Weltmonarchie im wahrsten Sinne des Wortes zu begründen. Alle Kriegs­ursachen wurden mit der Wurzel beseitigt. Der Weltbund der Pazifisten trat zum letzten Male zusammen, feierte auf seinem letzten Kongreß begeistert den Kaiser des allgemeinen Friedens und löste sich dann auf, da sein Ziel erreicht war.

Zu Beginn des zweiten Jahres seiner Regierung erließ der Imperator ein neues Manifest: "Völker der Erde! Ich habe Euch den Frieden gegeben, den ich Euch versprochen habe. Doch nur bei Wohlstand ist der Friede begehrenswert. Wenn jemand im Frieden von Not und Elend bedroht ist, dann erquickt auch der Friede nicht. So kommt denn alle zu mir, die Ihr hungert und friert, ich will Euch speisen und ich will Euch bekleiden."

Im Anschluß daran verkündete er jene einfache und umfassende Sozialreform, mit der er schon in seinem Buche alle bedeutenden und vernünftigen Köpfe gewonnen hatte. Dank der einheitlichen Verwaltung und Kontrolle der Weltfinanzen sowie eines gewaltigen Grundbesitzes konnte der Imperator diese Reform durchführen. Er befriedigte die Armen, ohne die Reichen allzu fühlbar zu treffen. Jeder erhielt seinen Anteil entsprechend den Fähigkeiten, die er durch Arbeit und Verdienst bewies.

Der neue Weltherrscher war vor allem ein mitleidiger Menschenfreund, aber er liebte und schützte auch die Tiere. Er selbst war Vegetarier, verbot die Vivisektion und stellte die Schlachthäuser unter strenge Kontrolle. Den Tierschutzvereinen wurde seine besondere Förderung zuteil. Weit wichtiger als diese Anordnungen war der Erlaß eines Grundgesetzes, das entsprechend der allgemeinen Gleichheit der Menschen auch die Gleichheit in der Ernährung festlegte.

Diese Reform wurde im zweiten Jahre seiner Regierung durchgeführt. Damit war die soziale und die wirtschaftliche Frage endgültig gelöst. Wenn aber die Sättigung für die Hungernden das Wichtigste ist, so haben die Gesättigten andere Bedürfnisse. Selbst satte Tiere wollen gewöhnlich nicht nur schlafen, sondern auch spielen. Wieviel mehr die Menschen! Immer noch haben sie nach dem Brot auch Spiele verlangt. Der kaiserliche Übermensch wußte, was seine Völker begehrten.

Während eines Aufenthaltes in Rom suchte ihn ein Wundertäter aus dem Fernen Osten auf, den wie eine Wolke merkwürdige Erzählungen und seltsame Legenden begleiteten. Der Wundertäter sollte nach Gerüchten, die unter den Neobuddhisten verbreitet waren, göttlichen Ursprungs sein: der Sohn des Sonnengottes Surja und einer Flußnymphe.

Der Wundertäter, der sich Apollonius nannte, war unbestreitbar ein genialer Mensch. Seiner Abstammung nach halb Asiate, halb Europäer, war er als katholischer Bischof in der Heidenmission tätig. In einzigartiger Weise vereinigte er die Kenntnis der jüngsten theoretischen Ergebnisse der Wissenschaft des Westens samt ihrer technischen Anwendung mit der Beherrschung von Theorie und Praxis alles dessen, was die überlieferte Mystik des Ostens an Gültigem und Bedeutendem hervorgebracht hatte. Die Früchte einer solchen geistigen Synthese waren erstaunlich. So besaß er unter anderem die halb wissenschaftliche, halb magische Gabe, die atmosphärische Elektrizität nach seinem Willen anzuziehen und zu lenken. Das Volk sagte, er hole das Feuer vom Himmel. Immer wieder aber fesselte er die Phantasie der Massen durch unerhörte Gaukeleien, doch nie mißbrauchte er seine Macht, um niedrigen Zwecken zu dienen.

Dieser Mann erschien nun vor dem großen Imperator. Er huldigte ihm als dem wahren Sohn Gottes, über den er in Geheim­büchern des Ostens bedeutsame Voraussagen entdeckt hätte. Dort sei zu lesen, der Imperator werde in dieser Würde zugleich der letzte Erlöser und Richter der Welt sein. Schließlich stellte er sich selbst und seine Kunst dem Imperator zur Verfügung. Der Imperator sah in ihm ein Geschenk des Himmels, zeichnete ihn mit prunkenden Titeln aus und machte ihn zu seinem ständigen Begleiter. So erhielten die Völker der Erde zu den Wohltaten des Weltfriedens und der Befriedigung ihres Hungers auch noch die Möglichkeit, sich ohne Unterlaß an den verschiedenartigsten und überraschendsten Wundern und Zaubereien zu ergötzen. Damit ging das dritte Jahr der Regierung des Übermenschen zu Ende.

Der Große Abfall


Nach der glücklichen Lösung der politischen und sozialen Probleme verblieb noch die religiöse Frage. Der Imperator griff sie selbst auf — vor allem im Hinblick auf das Christentum. Dessen Situation war damals etwa folgende: Trotzdem die Zahl seiner Bekenner sich beträchtlich vermindert hatte und auf der ganzen Erde nur mehr fünfundvierzig Millionen Christen umfaßte, war die Kirche sittlich gefestigt und innerlich gestärkt aus dieser Krise hervorgegangen. Sie hatte an Innerlichkeit gewonnen, was sie an Zahl verloren hatte.

Christen, die nur noch dem Namen nach als solche galten, gab es fast nicht mehr. Da auch die anderen christlichen Bekenntnisse in gleichem Maße an Gläubigen eingebüßt hatten, standen sie untereinander fast in dem früheren Verhältnis. In ihrer wechselseitigen Einschätzung war zwar die alte Feindschaft noch nicht völlig erloschen, aber doch beträchtlich gemildert. Jedenfalls hatten die Gegensätze ihre einstige Schärfe verloren.

Lange schon war der Papst aus Rom vertrieben worden. Nach langen Irrfahrten fand er schließlich in Petersburg ein Asyl, doch nur unter der Bedingung, sich dort und innerhalb Rußlands jeder Glaubenspropaganda zu enthalten. Im russischen Exil wurde die äußere Erscheinung des Papsttums bedeutend vereinfacht. Im wesentlichen blieb zwar der Bestand an Kollegien und Offizien erhalten, doch vergeistigte sich ihre Aufgabe, zugleich mit einer Einschränkung der glanzvollen Repräsentation auf das Mindestmaß. Viele sonderbare und bedenkliche Gebräuche wurden zwar nicht in aller Form abgeschafft, verschwanden aber von selbst.

In allen übrigen Ländern, besonders in Nordamerika, verfügte die katholische Hierarchie noch über zahlreiche Repräsentanten mit einem festen Willen, unermüdlicher Tatkraft und in unabhängiger Stellung. Entschlossener noch als früher verteidigten sie die Einheit der katholischen Kirche und ihren alle Völker der Erde umfassenden ökumenischen Anspruch.

Der Protestantismus war nach wie vor in Deutschland am stärksten vertreten, besonders, nachdem ein bedeutender Teil der anglikanischen Kirche zum Katholizismus zurückgekehrt war. Er hatte sich von allen radikalen und zersetzenden Strömungen befreit und deren Anhänger waren offen in religiöse Gleichgültigkeit, ja, in den Unglauben verfallen. So verblieben im evangelischen Bekenntnis nur aufrichtige Gläubige, die zu ihren Führern Männer von umfassender Bildung und tiefer Frömmigkeit hatten. Diese Männer wünschten, durch sich selbst ein lebendiges Beispiel des Urchristentums zu geben.

Die russische Orthodoxie hatte durch die politischen Ereignisse ihren Charakter als staatliche Einrichtung eingebüßt und dadurch zwar Millionen, die sich nur dem Namen nach zu ihr bekannten, verloren, dafür aber die Freude erlebt, daß der beste Teil der Altgläubigen und selbst viele Sektierer von positiv-religiöser Richtung sich wieder mit ihr vereinigten. In ihrer geistigen Kraft erneuert, nahm indessen die Orthodoxie nicht an Zahl der Bekenner zu, doch erwies sich die Kraft ihres Geistes im Kampf gegen die radikalen Sekten, deren Zahl im einfachen Volk, wie unter den Gebildeten ständig zunahm, und die dabei dämonischer und satanischer Züge nicht entbehrten.

In den ersten zwei Jahren der neuen Herrschaft waren alle Christen verängstigt und erschöpft durch die unaufhörlichen Kriege und Revolutionen. So standen sie dem neuen Herrscher und seinen Friedensreformen teils mit wohlwollender Erwartung, teils mit erklärter Sympathie und sogar lebhafter Begeisterung gegenüber. Im dritten Jahre jedoch, als der große Magier auftrat, erwachte in vielen Orthodoxen, Katholiken und Protestanten Furcht und Abneigung.

Nun begann man, jene Stellen im Evangelium und bei den Aposteln, die den Fürsten dieser Welt und den Antichrist betreffen, aufmerksamer zu lesen und eifriger auszulegen. An gewissen Anzeichen erkannte der Imperator, daß sich gegen ihn ein Unwetter zusammenzog. Er beschloß, ihm zuvorzukommen.

Zu Beginn des vierten Regierungsjahres erließ der Imperator ein Manifest an seine treuen Christen aus allen Bekenntnissen. Er forderte sie auf, bevollmächtigte Vertreter zu einem ökumenischen Konzil zu erwählen oder zu bestimmen, das unter seinem Vorsitz zusammentreten sollte.

In dieser Zeit wurde die kaiserliche Residenz von Rom nach Jerusalem verlegt. Palästina war damals eine autonome Provinz, die in der Hauptsache von Juden bewohnt und verwaltet wurde. Jerusalem, bisher eine Freistadt, wurde nunmehr zur kaiserlichen Residenz erhoben. Die christlichen Heiligtümer blieben unberührt. Auf der ganzen weiten Plattform Charam-esch-Scheriff, von Birket Israin und der heutigen Kaserne bis zu den Ställen Salomos wurde ein Kolossalbau errichtet, der außer zwei kleinen Moscheen auch den weitläufigen "Tempel zur Vereinigung aller Kulte" einschloß. Ferner umfaßte der riesige Palast auch zwei prächtige kaiserliche Schlösser mit Bibliotheken, Museen und besonderen Räumen für magische Versuche und Übungen. In diesem Gebäude, halb Tempel, halb Palast, sollte am vierzehnten September das ökumenische Konzil eröffnet werden.

Da der Protestantismus Priester im eigentlichen Sinne des Wortes nicht kennt, beschlossen die katholischen und orthodoxen Hierarchen, einem Wunsche des Imperators zu entsprechen und eine gewisse Anzahl von Laien, die sich durch Frömmigkeit und Kirchentreue auszeichneten, an dem Konzil teilnehmen zu lassen. Damit waren alle Glieder der Christenheit in gleicher Weise vertreten. Waren nun aber einmal die Laien zugelassen, so konnte man auch die niedrige Geistlichkeit, Ordensleute und Weltpriester, nicht ausschließen. Dadurch überschritt die Gesamtzahl der Mitglieder des Konzils dreitausend Personen; dazu kam noch etwa eine halbe Million christlicher Pilger, die Jerusalem und ganz Palästina überfluteten.

Drei Mitglieder des Konzils ragten besonders hervor. Vor allem Papst Petrus II., das rechtmäßige Haupt der katholischen Abordnung. Sein Vorgänger war auf dem Wege zum Konzil gestorben und ein in Damaskus abgehaltenes Konklave hatte einstimmig den Kardinal Simone Barionini zum Papst gewählt. Als solcher hatte er den Namen Petrus angenommen. Aus einer armen Familie der Provinz Neapel gebürtig, war er als Prediger des Karmeliterordens bekannt geworden. Als solcher hatte er sich große Verdienste im Kampf mit einer satanischen Sekte erworben, die sich in Petersburg und dessen Umgebung ausgebreitet und nicht nur Orthodoxe, sondern auch Katholiken verführt hatte. Zuerst Erzbischof von Mogilew, wurde er später zum Kardinal ernannt und war vor allen anderen für die Tiara ausersehen.

Etwa fünfzig Jahre alt, war der neue Papst von mittlerem Wuchs und kräftigem Körperbau. Er hatte ein rötliches Gesicht, aus dem unter buschigen Augenbrauen eine gebogene Nase vorsprang. Sein impulsives Wesen ließ ihn mit Feuer sprechen, wobei er seine Worte mit weit ausholenden Gesten unterstrich. Seine Rede riß die Zuhörer mehr hin, als daß er sie überzeugte.

Den Weltherrscher betrachtete der neue Papst mißtrauisch, ja ablehnend, seit sein verstorbener Vorgänger auf der Reise zum Konzil dem Drängen des Imperators nachgegeben und den kaiserlichen Kanzler und Magier zum Kardinal ernannt hatte, jenen exotischen Bischof Apollonius, den Petrus für einen zweifelhaften Katholiken, aber für einen unzweifelhaften Gaukler hielt.

Der tatsächliche, wenn auch nicht offizielle Sprecher der Orthodoxie war der Mönch Johannes; er wurde vom einfachen Volke Rußlands allgemein verehrt. Obgleich er sich offiziell als Bischof zur Ruhe gesetzt hatte, lebte er nicht einsam im Kloster, sondern wanderte im Lande umher. Zahlreiche Legenden waren über ihn im Umlauf. Einige behaupteten, in ihm sei Fjodor Kusmitsch, nämlich der Zar Alexander I., der vor etwa dreihundert Jahren geboren war, auferstanden.

Andere gingen noch weiter und erklärten, er sei der Apostel und Evangelist Johannes, der in Wahrheit niemals gestorben sei und in der letzten Zeit sich offen zeige. Indessen sprach Vater Johannes selbst niemals über seine Herkunft und seine Jugend.

Jetzt war Johannes ein hochbetagter, aber noch rüstiger Greis, und das Weiß seiner Locken und seines wallenden Bartes hatte bereits einen gelblichen, ins Grünliche übergehenden Schimmer. Er war hoch gewachsen und hager, hatte aber volle, rosig angehauchte Wangen und einen lebhaften, glänzenden Blick. Auf seinem Antlitz zeigte sich rührende Güte, die auch seine Reden charakterisierte. Stets trug er eine weiße Soutane und darüber einen ebensolchen Mantel.

Die protestantische Abordnung auf dem Konzil wurde von Professor Ernst Pauli angeführt, einem gelehrten deutschen Theologen. Das war ein kleiner vertrockneter Greis mit gewaltiger Stirn, spitzer Nase und einem glatt rasierten Kinn. Aus seinen Augen sprach ein heftiges, doch gutmütiges Wesen. Jeden Augenblick rieb er sich die Hände, schüttelte den Kopf und runzelte schrecklich die Augenbrauen, ließ dann die Lippen hängen und murmelte schließlich mit funkelnden Augen und dumpfer Stimme: "So! Nun! Ja! So also!" Er war stets feierlich gekleidet: eine weiße Krawatte zu einem langen Pastorenrock, der mit Orden geschmückt war. Die Eröffnung des Konzils war eindrucksvoll.

Zwei Drittel des gewaltigen "Tempels zur Vereinigung aller Kulte" wurden von Bänken und anderen Sitzen für die Teilnehmer des Konzils, ein Drittel von einer hohen Tribüne eingenommen. Dort standen hinter dem Thron des Imperators und dem ein wenig niedrigeren Thronsessel des großen Magiers, Kardinals und kaiserlichen Kanzlers lange Reihen von Sitzen für die Minister, Hofleute und Staatssekretäre. Zu beiden Seiten befanden sich noch längere Reihen von Sitzen, deren Bestimmung aber niemand kannte. Auf den Galerien hatten Musikorchester Platz genommen. Zwei Garderegimenter und eine Batterie waren auf dem nahen Platz zur Abgabe der Ehrensalven angetreten. Die Mitglieder des Konzils hatten ihre Gottesdienste in den verschiedenen Kirchen abgehalten, so daß die Eröffnung des Konzils einen vollkommen weltlichen Charakter trug.

Als der Imperator, an seiner Seite der große Magier und hinter ihm ein zahlreiches Gefolge, die Halle betrat, spielten die Orchester den "Marsch der Vereinigten Menschheit", der zugleich als kaiserliche und internationale Hymne diente. Die Konzil­steilnehmer erhöben sich von ihren Sitzen und riefen, ihre Hüte schwenkend, dreimal laut: "Vivat! Hurra! Hoch!" Der Imperator stellte sich neben seinen Thron und nach einer majestätischen Gebärde des Wohlwollens sprach er mit volltönender und angenehmer Stimme zur Versammlung:

"Christen aller Bekenntnisse! Meine geliebten Untertanen und Brüder!

Seit Beginn meiner Regierung, die der Höchste mit so wunderbaren und ruhmvollen Werken gesegnet hat, habe ich noch keinen Anlaß gefunden, mit Euch unzufrieden zu sein. Immer habt Ihr Eure Pflicht erfüllt, so wie es Euch Glaube und Gewissen geboten. Aber das ist mir nicht genug. Die innige Liebe zu Euch, meine teuren Brüder, dürstet darnach, erwidert zu werden. Ich wünsche von Herzen, daß Ihr mich nicht aus Pflichtgefühl, vielmehr aus aufrichtiger Liebe anerkennt als Euren Führer in allem, was zum Heile der Menschheit erforderlich ist. Daher möchte ich außer den Wohltaten, die ich allen angedeihen lasse, Euch noch eine besondere Gnade erweisen.

Christen, womit könnte ich Euch beglücken? Was soll ich Euch gewähren, nicht als meinen Untertanen, sondern als meinen Brüdern und Glaubensgenossen? Christen! Sagt mir, was Ihr am Christentum am meisten liebt, damit ich meine Bemühungen darauf richte!"


Der Imperator hielt inne und wartete, während sich im Tempel ein dumpfes Murmeln erhob. Die Mitglieder des Konzils sprachen leise miteinander. Papst Petrus gestikulierte heftig und erklärte irgend etwas seiner Umgebung. Professor Pauli schüttelte das Haupt und verzog zornig die Lippen, Vater Johannes wandte sich einem orthodoxen Bischof und einem Kapuziner zu und sprach leise auf sie ein.

Der Imperator hatte ein wenig gewartet. Nun wandte er sich von neuem an das Konzil, doch klang nun in dem freundlichen Ton eine leichte, kaum erkennbare Ironie mit.

"Liebe Christen", sprach er, "ich verstehe wohl, daß es Euch nicht leicht fällt, mir ohne weiteres zu antworten. Ich will Euch dabei helfen. Zu Eurem Unglück seid Ihr seit undenklichen Zeiten in verschiedene Bekenntnisse und Parteien gespalten. Daher gibt es vielleicht unter Euch nichts, was Ihr gemeinsam am meisten schätzt. Wenn Ihr aber untereinander selbst nicht einig werden könnt, dann hoffe ich, alle Eure Parteien zu einigen dadurch, daß ich allen die gleiche Liebe erweise und die gleiche Bereitschaft, die wahren Wünsche eines jeden zu befriedigen.
Liebe Christen! Ich weiß, daß vielen von Euch, und darunter nicht den Geringsten, die geistliche Autorität seiner gesetzmäßigen Repräsentanten im Christentum das Teuerste ist — einer Autorität, die es selbstverständlich nicht zu deren persönlichen Vorteil, sondern zum Wohle aller gewährt, da ja auf ihr die geregelte Ordnung des Geistes und die moralische Disziplin beruht, die beide niemand entbehren kann.
Liebe katholische Brüder! Oh, wie verstehe ich Eure Ansicht und wie gerne möchte ich meine Herrschaft auf die Autorität Eures geistigen Oberhauptes stützen! Damit Ihr aber nicht glaubt, dies seien Schmeicheleien oder leere Worte, er
klären wir in aller Feierlichkeit: Kraft unseres unumschränkten Willens wird von nun an der oberste Bischof aller Katholiken, der römische Papst, wieder auf seinen Thron in Rom eingesetzt mit allen früheren Rechten und allen Vorrechten des päpstlichen Stuhles, Rechten, die von unseren Vorgängern bis auf Konstantin den Großen zugesichert wurden. Von Euch aber, liebe katholische Brüder, verlange ich dafür nur die Anerkennung meiner Person als Eures einzigen Verteidigers und Beschützers. Wer sich dazu nach Gefühl und Gewissen bekennen kann, möge hierher, zu mir treten."

Dabei wies er auf die leeren Plätze der Tribüne.

Mit freudigen Ausrufen "Gratias agimus, Domine! Saivum fac magnum imperatorem ..." stiegen fast alle Fürsten der katholischen Kirche, Kardinäle und Bischöfe, die Mehrzahl der gläubigen Laien und mehr als die Hälfte der Mönche auf die Tribüne, verbeugten sich dort tief vor dem Imperator und nahmen die für sie bereitgehaltenen Sitze ein. Doch unten, inmitten der Versammlung, blieb Papst Petrus II. sitzen, aufrecht und unbeweglich wie eine Marmorstatue. Alle, die ihn umgeben hatten, saßen jetzt auf der Tribüne. Die gelichtete Menge der Mönche und Laien, die unten geblieben war, näherte sich ihm und umgab ihn in einem dichten Kreis, aus dem verhaltene Rufe laut wurden: "Non pracvalebunt, non praevalebunt portae inferni!"

Der Imperator blickte erstaunt den in unbeweglicher Ruhe verharrenden Papst an. Von neuem erhob er seine Stimme:

"Liebe Brüder! Ich weiß wohl, daß es einige unter Euch gibt, für die das Teuerste im Christentum die heilige Überlieferung, die alten Symbole, die alten Hymnen und Gebete, die Ikonen und die Liturgie sind. Und in der Tat: Was kann einer frommen Seele teurer sein als diese?

Vernehmet, Geliebte, daß ich heute eine Urkunde unterschrieb und reiche Mittel aussetzte für die Errichtung eines Weltmuseums der christlichen Archäologie in unserer ruhmreichen Kaiserstadt Konstantinopel. Dort sollen die Denkmäler des kirchlichen Altertums und besonders der Ostkirche gesammelt, erforscht und aufbewahrt werden. Euch aber bitte ich, morgen aus Eurer Mitte eine Kommission zu wählen, die mit mir jene Maßnahmen prüfen soll, die geeignet erscheinen, die Sitten und Gebräuche des modernen Lebens soweit als möglich den Überlieferungen und Vorschriften der heiligen orthodoxen Kirche anzugleichen.

Meine Brüder aus der Orthodoxie! Alle, die im Herzen den gleichen Wunsch hegen wie ich, alle, die mich aufrichtig ihren Führer und Herrn nennen können, mögen zu mir heraufsteigen."

Die meisten der Hierarchen des Ostens und Nordens, die Hälfte der einstigen Altgläubigen, mehr als die Hälfte aller orthodoxen Priester, Mönche und Laien bestieg daraufhin mit Freudenrufen die Tribüne, nicht ohne heimliche Seitenblicke auf die Katholiken, die dort schon stolz Platz genommen hatten. Vater Johannes aber seufzte tief auf, ohne sich von der Stelle zu rühren. Als die Schar um ihn sich stark gelichtet hatte, verließ er seinen Sitz und setzte sich in die Nähe des Papstes Petrus und seines Anhanges. Ihm folgten auch die anderen Orthodoxen, die nicht auf die Tribüne gegangen waren.

Neuerlich ergriff der Imperator das Wort:

"Ich kenne auch solche unter Euch, liehe Christen, denen im Christentum die persönliche Überzeugung von der Wahrheit und die freie Erforschung der Heiligen Schrift über alles geht. Was ich selbst davon halte, muß ich wohl nicht betonen. Denn Ihr wißt vielleicht, daß ich schon in meiner Jugend ein großes Werk über die Bibelkritik veröffentlicht habe, das damals Aufsehen erregte und meinen Ruhm begründete. In Erinnerung daran hat mich wahrscheinlich auch dieser Tage die Universität Tübingen gebeten, von ihr die Würde eines Ehrendoktors der Theologie anzunehmen. Ich habe antworten lassen, daß ich diese Ehrung mit Freude und Dank annehme.

Heute aber habe ich zugleich mit der Gründung des Museums für das christliche Altertum auch die Errichtung eines Weltinstitutes zur freien Erforschung der Heiligen Schrift beschlossen.

Dieses Institut wird die Heilige Schrift nach allen nur möglichen Richtungen und von allen Gesichtspunkten aus durchforschen und den dazu erforderlichen Hilfswissenschaften jede Förderung angedeihen lassen. Für diesen Zweck habe ich eine Summe von anderthalb Millionen Mark jährlich ausgesetzt. Wer von Euch diese aufrichtige Absicht gutheißt und mich ohne Gewissenszweifel als Oberhaupt anerkennt, nehme hier seinen Platz neben dem neuen Ehrendoktor der Theologie ein."



Bei diesem Worte verzog sich der schöne Mund des großen Mannes zu einem eigenartigen Lächeln.

Mehr als die Hälfte der gelehrten Theologen ging auf die Tribüne zu, wenngleich auch zögernd und schwankend. Alle blickten sie auf Professor Pauli, der auf seinem Sitze wie angewurzelt schien. Er hielt sein Haupt gesenkt und saß in sich zusammengesunken da. — Einige der gelehrten Theologen, die auf die Tribüne stiegen, wurden unter diesem Anblick verlegen. Einer von ihnen streckte plötzlich abwehrend die Hände aus, sprang zurück und lief ein wenig hinkend zu Professor Pauli und der kleinen, noch bei ihm verbliebenen Schar. Dieser erhob nun das Haupt, stand etwas unsicher auf, ging, von seinen Glaubensgenossen gefolgt, an den verlassenen Bänken vorbei und ließ sich neben dem Vater Johannes und Papst Petrus und deren Anhängern nieder.

Auf der Tribüne befand sich nun die überwiegende Mehrheit des Konzils und mit ihr fast die gesamte Hierarchie des Ostens und Westens.

Unten waren nur drei kleine Gruppen verblieben, die sich, nahe zusammengerückt, um Vater Johannes, Papst Petrus und Professor Pauli scharrten. Mit trauriger Stimme wandte sich nun der Imperator an sie: "Was kann ich noch für Euch tun, Sonderlinge, die Ihr seid? "Was verlangt Ihr von mir? Ich weiß es nicht. Sagt es mir doch selbst. Ihr Christen, die Ihr von der Mehrzahl Eurer Bruder und Eurer Führer verlassen und durch die Stimme der Völker verurteilt seid, sagt es mir doch selbst, was Ihr am Christentum am meisten schätzt!"

Da erhob sich, weiß wie eine Kerze, der greise Vater Johannes und antwortete mit sanfter Stimme: "Großer Herrscher! Christus selbst ist uns das Teuerste am Christentum. - Er selbst und alles, was von Ihm kommt, denn wir wissen, daß in Ihm die ganze Fülle der Gottheit wohnt. Von Dir aber, Herrscher, sind wir bereit, jede Wohltat anzunehmen, wenn wir nur in Deiner mildtätigen Hand die heilige Rechte unseres Erlösers erkennen. Und auf Deine Frage, was Du noch für uns tun könntest, geben wir Dir unsere einfache Antwort: Bekenne offen, jetzt, vor uns, daß Jesus Christus der Sohn Gottes ist, der Mensch wurde, auferstanden ist und wiederkommen wird — bekenne Ihn und wir werden Dich vom Herzen als den wahren Vorläufer Seiner herrlichen Wiederkunft anerkennen."

Er schwieg und bohrte seinen Blick in die Augen des Imperators. Wie in jener schicksalsschweren Nacht erhob sich in ihm ein höllischer Sturm, der ihm jede Herrschaft über seine Seelenkräfte nahm. Mit übermenschlicher Anstrengung suchte er, die äußere Selbstbeherrschung nicht zu verlieren und sich nicht vorzeitig zu verraten. Es kostete ihn ungeheure Mühe, sich zurückzuhalten und nicht mit einem wilden Aufschrei sich auf den Redner zu stürzen, der eben gesprochen hatte, um ihn mit seinen Zähnen zu zerfleischen. Da plötzlich hörte er eine ihm wohlbekannte überirdische Stimme: "Schweige, und fürchte nicht!" Er schwieg, nur sein leichenstarres, verfinstertes Gesicht verzerrte sich in wildem Schmerz und seine Augen sprühten Funken.

Während der Worte des Vaters Johannes hatte sich der große Magier, der dasaß, den Kardinalspurpur ganz verdeckt unter dem weiten, dreifarbigen Mantel, irgend etwas unter dessen Falten zu schaffen gemacht. Seine Augen starrten in kaltem Glanze geradeaus und seine Lippen bewegten sich. Durch die geöffneten Fenster des Tempels sah man eine große schwarze "Wolke heraufziehen, die urplötzlich alles in Dunkel hüllte. Der greise Vater Johannes, der die ganze Zeit über unverwandt erstaunt und erschrocken den schweigenden Imperator angeblickt hatte, wich auf einmal entsetzt zurück, wandte sich den Seinen zu und rief mit erstickter Stimme: "Kindlein — es ist der Antichrist!"




Im selben Augenblick erdröhnte ein betäubender Donnerschlag, ein furchtbarer Kugelblitz zuckte auf, der sprühend den Greis umflammte. Alles war wie gelähmt. Als die Christen wieder aus der Betäubung zu sich kamen, lag Vater Johannes tot da.

Bleich, aber ruhig, wandte sich der Imperator von neuem an das Konzil: "Ihr habt selbst das Gottesgericht gesehen. Ich wollte niemandes Tod, doch mein himmlischer Vater rächt seinen geliebten Sohn. Die Frage ist entschieden. Wer wagt es noch, mit dem Höchsten zu rechten? — Sekretäre, schreibt: Nachdem Feuer vom Himmel einen wahnsinnigen Feind der göttlichen Majestät zerschmettert hat, beschließt nunmehr einstimmig das ökumenische Konzil der Christen aller Bekenntnisse, den gegenwärtigen römischen Imperator, den Beherrscher der Welt, als seinen obersten Führer und Herrn anzuerkennen."

Da widersetzte sich plötzlich eine klare Stimme, die durch den mächtigen Tempel hallte: "Contradicitur." Papst Petrus II. hatte sich erhoben und in heiligem Zorn bebend hob er seinen Bischofsstab gegen den Imperator:

"Unser einziger Herr ist Jesus Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Wer Du aber bist, hast Du soeben gehört. Hebe Dich hinweg, Du Brudermörder Kain! Weiche von hinnen. Du Werkzeug des Satans! Durch die mir von Christus verliehene Gewalt und als Knecht der Knechte Gottes schließe ich Dich räudigen Hund auf ewig aus Gottes Kirche aus und übergebe Dich Deinem Vater, dem Satan. – Anathema, Anathema, Anathema!"



Noch während der feierlichen Bannworte des Papstes hatte sich der große Magier unruhig unter seinem weiten Mantel bewegt. Lauter noch als das letzte "Anathema" krachte ein Donnerschlag und der letzte Papst stürzte leblos zu Boden.

"So werden durch die Hand meines Vaters alle meine Feinde gefällt werden", rief der Imperator. "Pereant! Pereant!" bekräftigten die bebenden Kirchenfürsten.

Der Imperator wandte sich um und verließ langsam, auf die Schulter des großen Magiers gestützt, durch die Pforte hinter der Tribüne den Tempel. Ihm folgten seine Anhänger. Im Tempel blieben nur die beiden Toten zurück, um sie eine dichtgedrängte Schar von Menschen, die vor Schrecken halbtot waren. Der einzige unter ihnen, der seine Fassung nicht verloren hatte, war Professor Pauli. Das allgemeine Entsetzen schien vielmehr alle Kräfte seines Geistes geweckt zu haben. Auch äußerlich ging mit ihm eine Änderung vor. Sein Antlitz nahm einen erhabenen und verklärten Ausdruck an. Mit sicheren Schritten betrat er die Tribüne, setzte sich auf einen der leeren Plätze der Staatssekretäre, nahm einen Bogen Papier und begann darauf zu schreiben.

Als er damit geendet hatte, erhob er sich und verlas mit lauter Stimme: "Zum Ruhme unseres einzigen Erlösers Jesus Christus! Nachdem unser allerseligster Bruder Johannes, das Haupt der östlichen Christenheit, den großen Betrüger und Gottesfeind entlarvt und als den in der Heiligen Schrift vorausgesagten Antichrist erwiesen hat, ferner, nachdem unser allerseligster Vater Petrus, das Haupt der westlichen Christenheit, ihn, den Antichrist, in aller Form und gemäß dem Gesetz aus der Kirche Gottes ausgestoßen hat, beschließt das in Jerusalem versammelte ökumenische Konzil feierlich und angesichts der Leichname dieser beiden Zeugen Jesu Christi, hinfort jeder Gemeinschaft mit dem Verfluchten und seiner nichtswürdigen Anhängerschaft abzusagen, in die "Wüste zu gehen und dort die bevorstehende Wiederkunft unseres wahren Herrn und Heilands, Jesus Christus, zu erwarten."

Da ergriff heilige Begeisterung die Versammelten, die laut in den Ruf ausbrachen: "Adveniat, adveniat cito! Komm, Herr Jesus, komm!" Professor Pauli setzte noch etwas schriftlich hinzu und verlas hierauf diesen Nachsatz: "Nach- dem wir einstimmig den ersten und letzten Beschluß des ökumenischen Konzils gefaßt und an- genommen haben, unterschreiben wir ..." Hier forderte er mit einer Handbewegung die An- wesenden auf, die Urkunde zu unterfertigen und alle beeilten sich, dies zu tun. An letzter Stelle unterschrieb er selbst mit großen gotischen Schriftzeichen: Duorum defunctorum testium locum tenens — Ernst Pauli.

Dann, auf die beiden Toten weisend, sagte er: "Jetzt aber laßt uns aufbrechen mit unserer Bundeslade des letzten Testaments." Die heiligen Leichname wurden auf Bahren gelegt und unter dem Gesang lateinischer, deutscher und kirchen-slawischer Hymnen schritten die Christen feierlich dem Ausgang des Tempels zu.

Dort stieß der Zug auf einen Beauftragten des Imperators, einen Staatssekretär, der von einer Gardeabteilung, mit einem Offizier an der Spitze begleitet war. Soldaten besetzten den Ausgang, während der Offizier von erhöhtem Orte aus folgende Anordnung verlas:

"Befehl Seiner göttlichen Majestät! Um das Christenvolk aufzuklären und es vor böswilligen Unruhestiftern zu bewahren, haben wir beschlossen, die Leichen der beiden Aufrührer, die durch Feuer vom Himmel herab getötet wurden, in der 'Straße der Christen' (Charet-en-Nasara) beim Eingang zur Hauptkirche dieser Religion, die Grabes- oder auch Auferstehungskirche genannt wird, öffentlich auszustellen, so daß jedermann sich von ihrem Ende mit eigenen Augen überzeugen kann.

Ihre halsstarrigen Anhänger aber, die böswillig alle unsere Wohltaten zurückweisen und in Verblendung die klaren Offenbarungen der Gottheit nicht sehen wollen, werden durch unsere Barmherzigkeit und dank unserer Fürbitte bei unserem himmlischen Vater vor dem wohlverdienten Tod durch das Feuer vom Himmel bewahrt.

Sie behalten voll und ganz ihre Freiheit, nur wird ihnen im Interesse des Allgemeinwohles verboten, in Städten und anderen Siedlungen zu wohnen, damit sie nicht unschuldige und einfache Leute mit ihren hinterhältigen Lügen verwirren und verführen können."



Als der Offizier geendet hatte, traten auf sein Zeichen acht Soldaten an die Bahren der Toten. "Ja, es möge sich die Schrift erfüllen", sagte Professor Pauli, und die Christen, welche die Bahren trugen, überließen diese schweigend den Soldaten, die sich durch das nordwestliche Tor entfernten.

Die Christen durchschritten das Tor im Nordosten und verließen rasch die Stadt. Am Ölberg vorbei suchten sie auf der großen Straße, die schon vorher von Gendarmerie und zwei Regimentern Kavallerie von Ansammlungen Neugieriger gesäubert war, Jericho zu erreichen. Auf den einsamen Hügeln von Jericho beschlossen die Christen, einige Tage zu verweilen.

Die Gegenkirche


Schon am folgenden Morgen kamen aus Jerusalem bekannte Pilger und berichteten, was sich in Zion zugetragen hatte: Nach der kaiserlichen Tafel wurden alle Mitglieder des Konzils in den Thronsaal gerufen. (Er befand sich in der Nähe jener Stelle, wo der Thron Salomos gestanden haben soll). Dort richtete der Kaiser das Wort an die Vertreter der katholischen Hierarchie und erklärte ihnen, das Heil der Kirche verlange offensichtlich die sofortige Wahl eines würdigen Nachfolgers auf dem Stuhle Petri. Den Zeitumständen angepaßt, müsse diese Wahl auf kurzem Weg erfolgen, doch ersetze seine, des Imperators, Gegenwart als des Führers und Hauptes der christlichen Welt das, was am Ritual unausgeführt bleiben müsse. Daher schlage er im Namen aller Christen dem Heiligen Kollegium vor, seinen geliebten Freund und Bruder Apollonius zu wählen, damit durch das enge Band, das zwischen ihnen bestehe, auch die Einheit von Kirche und Staat zum Wohle aller sich dauerhaft und unzerstörbar gestalte.

Das Heilige Kollegium begab sich nun zum Konklave in ein abgesondertes Gemach und kehrte nach anderthalb Stunden mit dem neuen Papst Apollonius zurück. Während die Wahl des neuen Papstes vor sich ging, hatte der Imperator die Vertreter des Protestantismus und der Orthodoxie in sanften und beredten Worten dazu bewogen, zum Anbeginn dieser neuen und großen Epoche in der Geschichte der Christenheit ihre alten Zwistigkeiten beizulegen. Er hatte sich mit seinem Wort verbürgt, daß Apollonius allen geschichtlichen Mißbräuchen der päpstlichen Gewalt für immer ein Ende bereiten werde.

Durch diese Rede überzeugt, hatten die Vertreter der Orthodoxie und des Protestantismus eine Urkunde über die Vereinigung ihrer Kirchen aufgesetzt. Als nun Apollonius mit den Kardinalen im Thronsaal erschien, überreichten ihm, umbrandet von Freudenrufen, ein griechischer Bischof und ein protestantischer Pastor den Text dieser Urkunde. "Accipio et approbo et laetificatur cor meum", sprach Apollonius und unterfertigte feierlich das Dokument. "Ich bin ein ebenso auf richtiger Rechtgläubiger und wahrer Protestant wie ich auch ein gläubiger Katholik bin", fügte er hinzu und umarmte zum Bruderkuß den Griechen und den Deutschen.

Hierauf schritt er auf den Imperator zu, der ihn seinerseits umarmte und lange in seinen Armen hielt.

Zur gleichen Zeit erschienen im Palaste und im Tempel leuchtende Punkte, die sich nach allen Richtungen bewegten. Sie wurden größer und verwandelten sich in Lichtgestalten seltsamer Wesen; Blumen, wie sie bisher noch kein Auge gesehen hatte, regneten hernieder und erfüllten die Luft mit köstlichem Duft. Aus der Höhe erklang eine zarte, die Herzen ergreifende Musik noch nie gehörter Instrumente und engelgleiche Stimmen unsichtbarer Sänger rühmten die neuen Herrscher des Himmels und der Erde.

Währenddessen erhob sich in der Nordwestecke des Palastes, unter dem Kubeth-el-Ruach, unter der Kuppel der Seelen, ein furchtbares unterirdisches Dröhnen. Dort sollte nach der Überlieferung der Muselmanen der Eingang zur Hölle liegen. Auf Wunsch des Imperators begaben sich alle Anwesenden dorthin. Sie vernahmen zahllose feine, aber durchdringende Stimmen, die weder Kindern noch Höllengeistern gehören konnten. Diese riefen: "Die Zeit ist gekommen, befreit uns, Retter, o Retter!" Doch Apollonius neigte sich zur Erde und rief drei- mal etwas in einer unbekannten Sprache hinunter. Da verklangen die Stimmen und das unterirdische Getöse verstummte.

Gleichzeitig war von allen Seiten eine unzählbare Volksmenge um den Charam-esch-Scherif zusammengeströmt. Als die Nacht hereinbrach, zeigte sich der Imperator mit dem neuen Papst auf der östlichen Freitreppe des Palastes.

Sein Erscheinen rief einen Sturm der Begeisterung hervor. Liebenswürdig begrüßte er alle Anwesenden, während Apollonius aus großen Körben, die ihm Kardinale gleich Ministranten nachtrugen, etwas herausnahm und in die Luft warf. Durch Berührung mit seinen Händen entzündeten sich da prächtige romanische Kerzen, Raketen und Feuerfontänen. Sie erstrahlten bald in phosphoreszierendem Perlenglanze, bald in den leuchtenden Farben des Regenbogens. Dies alles aber verwandelte sich, sobald es zur Erde fiel, in unzählige bunte Flugblätter, die mit vollkommenen Ablässen für alle vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Sünden bedruckt waren. Der Jubel des Volkes war grenzenlos.

Zwar behaupteten einige, sie hätten gesehen, wie diese Ablaßblätter sich in abscheuliche Kröten und Schlangen verwandelten, aber die gewaltige Mehrheit ließ sich von Begeisterung betäuben. Das Volksfest dauerte noch mehrere Tage. In dieser Zeit vollbrachte der neue Wundertäter und Papst so außerordentliche und unwahrscheinliche Zaubereien, daß es vergeblich wäre, sie alle erzählen zu wollen.

Das Ende der Welt


Zur gleichen Zeit aber beten und fasten die wahren Christen auf den öden Höhen um Jericho. Doch am Abend des vierten Tages machten sich im Schutze der Dunkelheit Professor Pauli und neun seiner Gefährten, auf Eseln und von einem Gefährt begleitet, nach Jerusalem auf. Auf Seitenwegen umgingen sie den Charam-esch-Scherif und gelangten so unbemerkt vor den Eingang der Auferstehungskirche, wo die Leichen des Papstes Petrus und des Vaters Johannes auf der Straße ausgestellt lagen.

Zu dieser Stunde war die Straße menschenleer, denn die ganze Stadt hatte sich zum Charam-esch-Scherif begeben. Die Soldaten, die die Leichen bewachen sollten, lagen in tiefem Schlaf. Als Pauli und seine Gefährten an die Leichen herantraten, stellten sie verwundert fest, daß diese nicht in Verwesung übergegangen, ja, sogar nicht einmal erkaltet waren. Man hob sie auf Tragbahren, bedeckte sie mit mitgebrachten Tüchern und kehrte auf denselben Umwegen zu den Brüdern zurück.

Kaum aber hatten sie dort die Bahren auf die Erde abgestellt, als die beiden Toten wieder zum Leben erwachten, sich bewegten und bemüht waren, die Tücher abzustreifen, in die man sie gehüllt hatte. Alle suchten ihnen unter Freudenrufen zu helfen, und bald standen die beiden vom Tode Erweckten frisch und gesund vor ihnen.

Der greise Vater Johannes sprach als erster die folgenden Worte:

"Nun seht doch, ihr Kindlein, so haben wir uns also gar nicht verlassen. Höret aber, was ich euch jetzt zu sagen habe: Die Stunde ist da, um das letzte Gebot Christi an seine Jünger zu erfüllen: daß sie eins sein möchten, wie Er und der Vater eins sind. Um dieser Einsicht in Christo willen, laßt uns jetzt. Kindlein, unseren geliebten Bruder Petrus ehren: Er soll zuletzt noch die Lämmer Christi weiden. Brüder, so soll es sein!" Und er umarmte Petrus. — Da trat auch Professor Pauli auf den Papst zu und bekannte: "Tu es, Petrus. – Jetzt ist es ja gründlich erwiesen und außer jedem Zweifel!"

Er drückte ihm mit seiner Rechten fest die Hand, die Linke aber reichte er dem Vater Johannes mit den Worten: "So also, Väterchen — nun sind wir ja eins in Christo!" So vollzog sich hier, in dieser finsteren Nacht und auf dieser einsamen Höhe, die Wiedervereinigung zur Einen Kirche.

Doch plötzlich wurde die Nacht von einem strahlenden Lichte erhellt und am Himmelszelt erschien ein großes Zeichen: ein Weib, mit der Sonne bekleidet, unter ihren Füßen die Mondsichel und auf ihrem Haupte einen Kranz von zwölf Sternen. Die Erscheinung blieb einige Augenblicke stehen, dann zog sie langsam nach Süden. Da erhob Papst Petrus seinen Hirtenstab und rief aus: "Dies sei unser Banner! Laßt uns ihm folgen!"

Begleitet von den beiden Ältesten und gefolgt von der Schar der Christen, ging er der Erscheinung nach, dem Berge Gottes zu, nach dem Sinai.

Nachdem die geistigen Führer und Vertreter der Christenheit in die Arabische Wüste gegangen waren, wohin dann aus allen Ländern Scharen gläubiger Bekenner der Wahrheit ihnen folgten, konnte der falsche Papst Apollonius durch seine Wunder und Zaubereien ungehindert alle übrigen oberflächlichen Christen, die sich noch nicht über der Antichristen ernüchtert hatten, verderben. Er erklärte, er habe kraft seiner Schlüsselgewalt die Pforten zwischen dem Diesseits und dem Jenseits geöffnet, und tatsächlich wurde der Umgang von Lebenden mit Toten, sogar zwischen Menschen und Dämonen, ein alltägliches Schauspiel. Alsbald entwickelten sich daraus neue unerhörte mystische und dämonische Ausschweifungen.

Kaum jedoch glaubte der Imperator, sich nun auch auf religiösem Gebiet sicher fühlen zu dürfen, als er sich unter den drängenden Einflüsterungen jener geheimnisvollen "väterlichen" Stimme zur einzigen und wahrhaften Verkörperung der höchsten Weltgottheit erklärte.

In diesem Augenblick brach ein neues Unheil über ihn herein, und zwar von einer Seite, von der es niemand erwartet hätte: Die Juden erhoben sich gegen den Imperator.

Dieses Volk, das nunmehr die Zahl von dreißig Millionen erreicht hatte, war an der Vorgeschichte sowie an der Festigung des Welterfolges dieses Übermenschen nicht ganz unbeteiligt. Als der Imperator in Jerusalem seine Residenz aufschlug, hatte er unter den Juden das Gerücht verbreiten lassen, es sei sein letztes Ziel, auf der ganzen Erde die Herrschaft Israels aufzurichten. Von diesen Einflüsterungen bewogen, hatten die Juden ihn als Messias anerkannt und ihm ihre begeisterten und grenzenlosen Huldigungen dargebracht.

Plötzlich aber erhoben sie sich zornentbrannt und riefen zur Rache auf. Diese völlige und so unerwartete Umkehr ist jedoch in der Heiligen Schrift vorausgesagt und durch die Überlieferung wach gehalten worden. Sie wurde durch die zufällige Entdeckung ausgelöst, daß der Imperator, den die Juden bis dahin für einen reinblütigen und treuen Israeliten gehalten hatten, nicht einmal beschnitten war. Noch am gleichen Tage flammte der Aufstand in Jerusalem auf und hatte schon vierundzwanzig Stunden später ganz Palästina erfaßt. Die unbegrenzte und glühende Hingabe an den Retter Israels, den verheißenen Messias, verkehrte sich in einen ebenso grenzenlosen wie glühenden Haß gegen den arglistigen Betrüger und frechen Emporkömmling.

Ganz Israel erhob sich wie ein Mann und seine Feinde sahen mit Staunen, daß die Seele Israels im Letzten nicht von den Berechnungen und Begierden des Mammons bestimmt wurde, sondern von der Kraft eines aufrichtigen Herzens, von der Hoffnung und vom Zorn seines uralten Messiasglaubens.

Der Imperator hatte einen so plötzlichen Ausbruch der Leidenschaften nicht erwartet und verlor seine Selbst­beherrschung. Er erließ einen Befehl, der alle aufrührerischen Juden und Christen zum Tode verurteilte. Viele Tausende, ja Zehntausende, die nicht mehr zu den Waffen greifen konnten, wurden ohne Erbarmen getötet. Doch schon nach kurzer Zeit bemächtigte sich ein Millionen­heer von Juden der Stadt Jerusalem und schloß den Antichrist im Charam-esch-Scherif ein. Dieser hatte nur einen Teil seiner Garde zur Verfügung, die außerstande war, die Überzahl der Feinde abzuwehren. Doch mit Hilfe der Zauberkünste seines Papstes gelang es dem Imperator, durch die Linien der Belagerer zu entfliehen, und schon bald war er wieder in Syrien als Befehlshaber einer großen Armee von Heiden aller Völker und Rassen.

Trotz ihrer geringen Siegesaussichten traten ihm die Juden entschlossen entgegen. Doch kaum waren die Vorhuten beider Armeen aufeinandergestoßen, als ein furchtbares Beben die Erde erschütterte.

Unter dem Toten Meer, an dessen Ufern das Heer des Imperators Aufstellung genommen hatte, öffnete sich der Krater eines ungeheuren Vulkans. Glühende Lavafluten stiegen auf und flossen zu einem einzigen Flammenmeer zusammen. Es verschlang den Imperator, sein zahlloses Heer und auch seinen unzertrennlichen Begleiter, den Papst Apollonius, dem nun alle magischen Künste nicht mehr helfen konnten. Die Juden aber flohen nach Jerusalem und riefen in Furcht und Zittern den Gott Israels um Rettung an.

Als die heilige Stadt schon vor ihren Blicken lag, spaltete ein gewaltiger Blitz den Himmel von Osten nach Westen. Sie sahen Christus. Bekleidet mit den Insignien der Allmacht, mit ausgebreiteten Händen, auf denen die Wundmale der Nägel leuchteten, schritt er auf sie zu.

In dieser Zeit zog auch die Schar der Christen vom Sinai hinauf nach Zion, geführt von Petrus, Johannes und Paulus. Von allen Seiten strömten ihnen jauchzende Scharen zu: Das waren jene Juden und Christen, die der Antichrist hatte töten lassen.

Sie waren auferstanden und herrschten mit Christus tausend Jahre.

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