Köpfe als Kannonenkugeln
Die Blutigste Belagerung der Geschichte
Von James Jackson, dem Autor von "Blood Rock"
Eine warme und stickige Juni-Nacht auf der kleinen Mittelmeer Insel Malta. Ein christlicher Wachposten patroulliert am Fuß der Festung am Naturhafen Grand Harbour und erblickt etwas im Wasser treiben.
Alarm wird ausgelöst. Noch mehr dieser seltsamen Objekte treiben auf Sichtweite heran. Männer waten in die Untiefen, um sie ans Ufer zu ziehen. Was sie finden entsetzt sogar diese kampfesmüden Veteranen: Hölzerne Kreuze, vom Feind in die Hafenbucht gelotst, aufgenagelt auf jedem der enthauptete Rumpf eines christlichen Ritters.
Dies war psychologische Kriegsführung brutalster Art, eine Botschaft geschickt vom türkisch-islamischen Kommandeur, dessen Invasionsarmee kurz zuvor einen kleinen Außenposten der Festung St. Elmo ausgelöscht hatte - ein paar tausend Meter über das Wasser entfernt.
Nächstes Ziel war die letzte verbleibende Festung an der Hafenstirn, wo die Belagerten und ob ihrer Unterzahl fast schon überwältigten Christen immer noch aushielten: Die Festung St. Angelo. Der türkische Kommandeur wollte ihren Verteidiger wissen lassen, daß sie die nächsten sein würden und ein furchtbarer Tod das einzige Ergebnis ihres fortgesetzten Widerstands sein konnte.
Womit der Kommandeur nicht gerechnet hatte, war der Eifer seiner Feinde - der Ritter von St. John - und auch nicht mit der Entschlossenheit ihres Führeres Großmeister Jean Parisot de la Valette, der schwor daß die Festung nicht genommen würde, solange noch ein einziger Christ auf Malta leben würde.
Auf die Nachricht dieser unfassbaren Entdeckung der enthaupteten Ritter hin, von denen viele persönliche Freunde von Großmeister Valette waren, befahl dieser, daß die gefangenen und tief in den gewölbten Verliesen der Festung eingesperrten Türken umgehend aus ihren Zellen geholt und geköpft werden sollten - einer nach dem anderen.
Und so sandte er die Rückantwort: mit der stärksten Kannone der Festung ließ er die Köpfe der türkischen Gefangenen geradewegs in die mohammedanischen Linien schießen. Keine Verhandlungen würde es geben, keine Kompromisse, keine Aufgabe und kein Zurückweichen.
Wir Christen, sagte der Großmeister, werden kämpfen bis zum Tode und euch mit uns nehmen.
Bei der Belagerung Maltas im Jahre 1565 fand ein Zusammenprall unvorstellbarer Brutalität statt, eine der blutigsten, wenn auch oftmals unterschätzten Schlachten, die jemals geschlagen wurden. Dieses Ereignis bestimmte den Lauf der Geschichte, weil es um das schiere Überleben der Christenheit ging.
Würde das strategisch wichtige Malta fallen, würde das mohammedanische Osmanische Reich bald das ganze Mittelmeer beherrschen und sogar Rom würde in Gefahr sein.
Hunderte von Schiffen hatten die Mohammedaner und eine mehrere zehntausend starke Armee. Die Christen waren ein bunt zusammengewürfelter Haufen von gerade mal ein paar hundert abgebrühter Ritter mit einen paar Bauernsoldaten und ein paar wenigen tausend spanischen Fussoldaten. Malta schien verloren ...
Daß die Johanniter Riter von St. John überhaupt existierten, war für sich schon ein Wunder. Sie waren ein mittelalterliches Überbleibsel, gegründet ursprünglich als Orden, um sich um kränkelnde Pilger im Heiligen Land während der Kreuzzüge 300 Jahre vorher - andere Kreuzritterorden, wie die Tempelritter waren zweieinhalb Jahrhunderte zuvor ausgelöscht worden.
Aus Ländern überall in Europas kamen sie: Deutschland, Portugal, Frankreich, Spanien. Was sie vereinte, war das brennende Verlangen, die Christenhheit vor den nicht enden wollenden Angriffswellen des Islam zu verteidigen. Doch im 16. Jahrhundert, einer Zeit steigender Bedeutung der Nationalstaaten, sah man in diesen Grenzen überwindenden Eiferern schon befremdlichen Anachronismus in weiten Teilen Europas.
Schon von ihrer früheren Heimstatt, der Insel Rhodos hatten die Türken sie vertrieben. Daraufhin hatten sich die Ritter in Malta festgesetzt und wiederum wurden sie bedroht.
So grausam war das Kämpfen, so verschieden die beiden Seiten und so wichtig die Begebenheit, daß ich mich entschloß, die Belagerung Maltas zum Gegenstand meines neuesten Romans, "Der Blutfelsen" (orig. "Blood Rock") zu machen. Er war der Schauplatz eines, epischen und überwältigenden Geschichtsereignisses - wie wir Romanschreiber sagen.
Doch schon bei der Recherche für mein Buch recherchierte, wurde mir bewußt, daß das, was vor mehr als 400 Jahren auf Malta geschah, uns heute eine Lehre sein soll. Denn nur zu gut wissen wir, daß religiöser Extremismus, Terrortaktiken und Barbarei heute immer noch existieren.
Malta war nicht einfach nur eine Belagerung, sondern kann uns vieles lehren: Den Notwendigkeit von Mut und Standfestigkeit eines ganzen Volkes im Angesicht einer Bedrohung, die Zerbrechlichkeit des Friedens und die Zerstörungsmacht religiösen Hasses.
Suleiman der Prächtige, Sultan der Türkei und mitleidloser Herrscher des Osmanischen Reiches, starrte hinaus auf das glitzernde Wasser des Goldenen Horns der Mündung von Istambul. Er galt als der mächtigste Mensch auf Erden - seine Titel waren "Stellvertreter Gottes auf Erden", "Herr der Herren in West und Ost" - und aufgrund seiner Gewohnheit, Untertanen köpfen zu lassen, die ihn verärgerten, Eigentümer der Genicke zahlloser Männer.
Sein Reich und absoltes Herrschaftsgebiet reichte von den Toren vor Wien zu den Gärten Babyloniens, von Budapest nach Aden. Er war einer der reichesten Männer aller Zeiten, der keine Kleidung zweimal trug, von juwelenbesetzem Goldgeschirr aß und für seine Lust einen Harem von mehr als 300 Frauen zur Verfügung hatte.
Als Achzigjähriger, war er gänzlich mitleidlos und beschäftigte eine Meuchelmörderkommando von Taubstummen um Verräter zu erwürgen. Grund war, daß ein Flehen ihrer Opfer um Gnade sie nicht beeindrucken konnte und nichts verraten konnten. Suleiman hatte sie für die Beseitigung seines Großvesirs und seiner liebsten Söhne benutzt. Weniger bedeutsame Personen konnten auch schon mal mit flüssigem Blei hingerichtet werden, das er in ihre Kehlen gießen ließ.
Wobei er angesichts der Maßstäbe seiner Zeit und seiner Dynastie nicht übermäßig gewalttätig war. Andere Sultane hatten noch viel schlimmeres getan: Einer, der seiner Weiber überdrüssig war, ließ seinen ganzen Harem ertränken - mehrere hundert an der Zahl - in Muselinsäcken auf den Grund des Bosporus; ein zweiter erließ sich selbst ein Gesetz, zehn und mehr Bürger pro Tag mit Pfeil und Bogen vom Dach seines Palasts aus zu erschießen.
Suleiman befehligte die größte Streitmacht auf der Welt. Vor ihm lag eine Armada von 200 Schiffen, die auf seinen Befehl mit 40.000 Mann an Bord lossegelten. Er plante den öden Felsen von Malta wegzublasen und die Ritter von St. John von der Karte zu wischen.
Die Ritter begingen Überfälle und störten damit die osmanischen Schiffsrouten. Das Faß zum Überlaufen brachte die Kaperung des wertvollen Schiffes seines bedeutsamen Höflings des Obersten der Mamelucken.
Weil alle dessen Geschlchtsteil mit dem sauberen Schnitt eines Rasiermessers entfernt worden waren (ein Metallrohr wurde in seine Harnröhre geschoben und die Wunde mit siedenden Öl zugebrannt), war er so Vertrauenswürdig, daß er sogar in Suleimans Harem nach dem rechten sehen durfte.
Da der Sultan keinen derart großen Ärger erwartet hatte steigerte sich seinen Rachedurst. Nicht mehr als 700 Ritter standen ihm im Weg. Dieses Gesinde würde sehr schnell beseitigt sein.
Die türkische Flotte zog übers Mittelmeer im März 1565. An Bord der Schiffe waren die besten Schreckensregimenter der Janitscharen - genannt die "Unbesiegbaren" - die den Islam mit den vor allem für Aufschlitzen geeigneten Klingen ihrer Krummsäbel nach Europa trugen.
In ihrer Begleitung waren die schwarzgefiederten Kavallerietruppen und Fußsoldaten, ebenso wie drogennärrische "Layalare", die in Raubtierfellen gekleidet waren und deren einziges Ziel die Erreichung des Paradieses war, wenn sie beim Halsabschneiden christlicher "Ungläubiger" selbst den Märtyrertod starben.
Ende Mai 1565 kam die Invasionsarmee bei der Insel an. Dank guter Aufklärung hatten die Ritte sich bereits auf sie vorbereitet und um Unterstützung durch christliche Armeen aus den Ländern Europas ersucht. Alle Königreiche hatten ihnen eine Absage erteilt, außer Sizilien, das versprach, möglicherweise Entsatztruppen zu schicken, falls die Ritter der Belagerung eine Zeit standhalten konnten.
Sie haben vermutlich nie von der Festung St. Elmo gehört. Es ist ein kleine sternförmiges Bauwerk auf der Spitze dessen, was heute die maltesische Hauptstadt Valletta bildet am Nordufer des Grand Harbor.
Zu Ende Mai 1565, war es der Ort, an dem die ganze Macht der türkischen Artillerie entfesselt wurde, eine höllisches Feuerspektakel das die moderne Kriegsführung vorwegnahm. Mehrere Tage lang ließen die Angreifer alles, was sie hatten, auf das bald schon torkelnde und zerbrechende Gebäude einprasseln, zerbarsten Kalksteinmauern zu Schutt und Staub. Doch die Ritter weigerten sich aufzugeben.
Eines Nachts sandte Valette Reservetruppen von St. Angelo per Schiff über den Grand Harbour, wohlwissend daß dies ein Todeskommando war.
Nachdem der Artillerie strömten die Angriffer ein, Welle auf Welle schreidender und Krummsäbelschwingender Türken, hinweg über die Leichen schon gefallener, um Schiffsmasten zur Überbrückung der von den Mauern St. Elmo's schon fast verschütteten Festungsgrabens abzuladen.
Und regelmäßig belegte sie die abgerissene und kleiner werdende Verteidigerschar mit Piken und Schlachtäxten, Musketenfeuer, heruntergeworfenen Felsblöcken und geschleuderten Feuerringen, die die wallenden Gewänder der Mohammedaner entflammten, so daß sie brennend und niedergemacht den Tod fanden.
Die Feuerreifen - in Flachs und Baumwollle gehüllt, mit Pech und Schwefel überzogen und dann in Branntwein getaucht - waren von den Rittern selbst erfunden. Wurden sie lodernd über die Festungsmauern geworfen, konnten sie drei Türken auf einmal verschlingen.
Über 30 Tage, abgeschnitten und verloren, hielten die Soldaten von St. Elmo stand. Der türkische General hatte gehofft, die Festung in drei Tagen einnehmen zu können. Am Freitag den 22. Juni 15565 zu später Nacht sangen die wenigen hundert Überlebenden einer Garnion von 1500 Choräle, sandten Gebete, läuteten trotzig ihre Kirchenglocken und erwarteten, am darauffolgenden Tag ihr Ende zu finden.
Diejenigen, die allein nicht mehr stehen konnten, setzte man hinter dem zerschlagenen Bollwerk auf Stühle, wo sie mit ihren Piken und Schwertern in kauernder Stellung den letzen Angriff erwarteten.
Als sie kamen, und die ganze türkische Armee fiel herein als heulende Masse, konnte die Handvoll der Christen immer noch für mehrere Stunden kämpfen. Die Osmanen bekamen, was sie verdienten. Die Halbmond-Banner flatterten über den Ruinen, die Köpfe von Rittern wurden auf Spieße gesteckt und die gekreuzigten Leichnahe ihrer Offiziere schwammen rüber zu St. Angeo an der entgegengesetzen Seite des Hafens, aber die Türken hatten dabei wertvolle Zeit und 8000 ihrer Pioniertruppen verloren.
Als die Sommerhitze den Zenit fand, suchten Krankheiten und Durchfall das mohammedanische Lager heim und die Toten lagen stapelweise um die rußgeschwärzten Überreste der eingenommenen Festung. Alleingelassene Ritter, die Jungfrau Europa hatte sich von ihnen abgewandt. Doch Großmeister Valette dachte nicht daran, aufzugeben.
Heroischen Szenen und Schrecken gab es reichlich in den furchtbaren Tagen, die folgten. Und es gab außergewöhniche Gestalten: Fra Roberto, der Priester der mit der einen Hand mit dem Schwert und mit der anderen Hand mit einem Kreuz auf den Zinnen focht. die zwei englischen Abenteurer, die verspätet aus Rom eintrafen, um teilzunehmen und Valette, der unnachgiebig im Mauerdurchbruch stand und mit einem Speer Mann-gegen-Mann den Feind bekämpfte.
Andere hatten verzeifelte Ausbrüche gegen die Osmanen angeführt, mit denen unter deren Arbeiter marodierten oder aus dem Hinterhalt deren Kommandeure erschossen. Doch auch der Feidn hatte tapfere und muntere Gestalten, unter ihnen Dragut, der am meisten gefürchtete Corsar seiner Zeit, dessen Geschicklichkeit und Treffsicherheit dem Sultan sehr zu nutze waren. Der Splitter einer Kannonenkugel traf ihn.
Doch die Belagerung wurde fortgeführt, nun mit St. Angelo als Ziel, die letzte befestigte Enklave der Ritter auf der Südseite des Grand Harbour.
Die Türken versuchten jeden Dreh und jede Taktik die sie kannten. Sie trieben Tunnel unter die christlichen Verteidigungsanlagen, um Schießpulver zu vergraben, das die Ritter in Stücke zerreißen sollte. Die Malteser reagierten mit ihren eigenen Minenschächten, um die Tunnel zu sprengen, so daß auch unter der Erde entsetzliche es Gemetzel stattfanden.
Als nächstes führten die Türken Belagerungsmaschinen heran, riesige Türme dafür geschaffen, Fußsoldaten direkt auf die Festungsmauer zu befördern. Die Ritter entfernten Steine am Fuß der Festungsmauer so daß sie Kannonen aus den Lücken herausrollen konnten, mit denen sie die Belagerungsmaschinen zerschossen.
Viele male wurde diese Mauern eingeschossen und die Türken strömten durch im Verlangen alles abzuschlachten, was ihnen in den Weg kam. Der Sieg schien zum Greifen, aber zu spät bemerkten, sie daß die Ritter einen Hinterhalt vorbereitet hatten, mit dem sie eine Todeszone schufen, in der sie alle konzentriert und abgeschlachtet wurden.
Wie Sand zwischen Fingern entglitt ihnen der Sieg. Die brütende Hitze von Juli und August laugte ihre Moral und ihre Stärke aus; das Gefühl eine Niederlage zu erleben verbreitete sich wie der alles durchdringenden Gestank der Toten.
Mustafa Pascha, der türkische Kommandeur, marschierte landeinwärts auf das mit einer Stadtmauer bewehrte Mdina, zog sich aber zurück, weil seine Kundschafter ihm von einer beträchtlichen und gut bewaffnete Garnison erzählten. Doch dies war ein Trick: Mdina war fast ohne Verteidigung, aber der Bürgermeister ließ Frauen und Kinder Helme anlegen und Piken tragen, mit denen sie an den Mauern regelmäßig Streife liefen.
Rasend vor Wut, angesichts immer größerer Verluste und der aufkommenden Herbststürme, rollten die Türken eine gewaltige Bombe - ein teuflisches fassförmiges Gebilde voll mit Schießpulver und Musketenkugeln- in die christlichen Stellungen.
Ein Ritter rollte es prompt zurück und es riß ein verheerendes Loch in die eng stehenden und wartenden Mohammedaner-Reihen riß. Dann regnete es. Im Glauben, daß das Schießpulver der Ritter feucht, und ihre Musketen und Kannonen somit nutzlos sein würden, ließ Mustafa Pascha seine Truppen vorstürmen.
Empfangen wurden sie von einem Hagel, nicht nur von Armbrustbolzen, sondern auch Geschützfeuer, weil Valette sich darauf vorbereitet hatte und in einem Lager trockenes Schießpulver zur Seite gelegt hatte.
Endlich erreichte die Ritter der Entsatz in Form einer kleinen Armee aus Sizilien. Im Glauben der Nachschub seines Feindes wäre zu schwach, um irgendeine Bedeutung zu haben, befahl der wütende Mustafa Pascha seinen Trupen - die einen Sperrriegel errichtet hatten, als sie von den Neuankömmlingen erfuhren - direkt auf sie zuzumarschieren. Das war der letzte seiner vielen tödlichen Fehltritte.
Die Kavallerie des Entsatzheeres lud und ebenso die Fußtruppen und ihr Feuer, fuhr mitten in die Türken, so daß sie die Flucht ergriffen. Die Bande erlebte ein Blutbad. Die einstmals so stolze osmanische Streitmacht floh quer über die Insel und ohne jede Ordnung zu ihren Schiffen, niedergestreckt und aufgespießt auf Schritt und Tritt. Tausende starben und die Wasser der St. Pauls Bucht färbten sich rot.
Von den 40.000 Mann die im Frühling in Konstantinopel Segel gesetzt hatten, schafften es nicht mehr als 10.000 wieder Heim. Zurück ließen sie eine Szene schierer Verwüstung.
Nahezu die gesamte von Jean Parisot de Valette befehligte Besatzung war dahingeschieden und die Stadt Valletta trägt seither diesen Namen. Nun, nach 112 Tagen der Belagerung hatte der zusammengewürfelte Haufen von Überlebenden Mühe, durch die zerbombten Trümmer ihrer Linien zu kommen.
Doch Malta war gerettet, für Europa und die Christenheit. Die Ritter von St. John hatten gewonnen.
Die Geschichte ging weiter. Die Insel überlebte 1940 eine weitere Belagerung und spielte dabei eine Schlüsselrolle bei der Rettung der Zivilisation; dieses mal gegen Hitler Truppen. Heute sind Hotels und Appartment-Bauer hinzugezogen. Die große Belagerung von 1565 wird nicht oft erwähnt, denn nicht oft bohren Besucher der Insel in alten und vergessenen Ereignissen.
Doch ich stand in dieser kleinen in die Mauern des Festung St. Elmo eingebauten Kapelle, genau an dem Punkt an dem die Verteidiger in einer lange vergangenen Juninacht ihr letztes Heiliges Abendmahl einnahmen. Diesen Rittern sind wir etwas schuldig.
Sie brachtenein ungeheures Opfer, dessen Auswirkung auf unser heutiges Leben wohl bedeutsamer ist, als wir vielleicht wissen. Doch der religiöse Fanatismus geht weiter, die weltweit Mächtigen kämpfen immer noch um Teile unfruchtbarer Felsen. Vielleicht lernen wir es nie.
Donnerstag, 26. Juli 2007
Köpfe als Kannonenkugeln
Eine Übersetzung von History's bloodiest siege used human heads as cannonballs.
Montag, 23. Juli 2007
Grundsätze für die Neuordnung
Kreisau - so hieß ein kleines Dorf in Niederschlesien. Dort traf sich auf dem Gutshofder Familie von Moltke eine Gruppe von Nazigegnern, um Pläne für die Zukunft Deutschlands und Europas nach dem Ende des Nationalsozialismus auszuarbeiten. Die Kreisauer sahen sehr früh, "nicht nur die Verwüstungen der Städte, sondern auch die entsetzlichen Verwüstungen in den Köpfen und Herzen der Menschen". Viele Mitglieder des Kreisauer Kreises wurden 1944/45 hingerichtet.
Grundsätze für die Neuordnung vom 9. August 1943
Die Regierung des Deutschen Reiches sieht im Christentum die Grundlage für die sittliche und religiöse Erneuerung unseres Volkes, für die Überwindung von Hass und Lüge, für den Neuaufbau der europäischen Völkergemeinschaft. Der Ausgangspunkt liegt in der verpflichtenden Besinnung des Menschen auf die göttliche Ordnung, die sein inneres und äußeres Dasein trägt. Erst wenn es gelingt, diese Ordnung zum Maßstab der Beziehungen zwischen den Menschen und Völkern zu machen, kann die Zerrüttung unserer Zeit überwunden und ein echter Friedenszustand geschaffen werden.
Die innere Neuordnung des Reiches ist die Grundlage zur Durchsetzung eines gerechten und dauerhaften Friedens. Im Zusammenbruch bedingungslos gewordener, ausschließlich auf die Herrschaft der Technik gegründeter Machtgestaltung steht vor allem die europäische Menschheit vor dieser Aufgabe. Der Weg zu ihrer Lösung liegt offen in der entschlossenen und tatkräftigen Verwirklichung christlichen Lebensgutes.
Die Reichsregierung ist daher entschlossen, folgende innen und außen unverzichtbare Forderungen mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu verwirklichen:
- Das zertretene Recht muß wieder aufgerichtet und zur Herrschaft über alle Ordnungen des menschlichen Lebens gebracht werden. Unter dem Schutz gewissenhafter, unabhängiger und von Menschenfurcht freier Richter ist es Grundlage für alle zukünftige Friedensgestaltung.
- Die Glaubens- und Gewissensfreiheit wird gewährleistet. Bestehende Gesetze und Anordnungen, die gegen diese Grundsätze verstoßen, werden sofort aufgehoben.
- Brechung des totalitären Gewissenszwangs und Anerkennung der unverletzlichen Würde der menschlichen Person als Grundlage der zu erstrebenden Rechts- und Friedensordnung. Jedermann wirkt in voller Verantwortung an den verschiedenen sozialen, politischen und internationalen Lebensbereichen mit. Das Recht auf Arbeit und Eigentum steht ohne Ansehen der Rassen-, Volks- und Glaubenszugehörigkeit unter öffentlichem Schutz.
- Die Grundeinheit des friedlichen Zusammenlebens ist die Familie. Sie steht unter öffentlichem Schutz, der neben der Erziehung auch die äußeren Lebensgüter: Nahrung, Kleidung, Wohnung, Garten und Gesundheit sichern soll.
- Die Arbeit muß so gestaltet werden, daß sie die persönliche Verantwortungsfreudigkeit fördert und nicht verkümmern läßt. Neben der Gestaltung der materiellen Arbeitsbedingungen und fortbildender Berufsschulung gehört dazu eine wirksame Mitverantwortung eines jeden an dem Betrieb und darüberhinaus an dem allgemeinen Wirtschaftszusammenhang, zu dem seine Arbeit beträgt. Hierdurch soll er am Wachstum einer gesunden und dauerhaften Lebensordnung mitwirken, in der Einzelne, seine Familie und die Gemeinschaften in ausgeglichenen Wirtschaftsräumen ihre organische Entfaltung finden können. Die Wirtschaftsführung muß diese Grunderfordernisse gewährleisten.
- Die persönliche politische Verantwortung eines jeden erfordert seine mitbestimmende Beteiligung an der neu zu belebenden Sozialverwaltung der kleinen und überschaubaren Gemeinschaften. In ihnen verwurzelt und bewährt, muß seine Mitbestimmung im Staat und in der Völkergemeinschaft durch selbstgewählte Vertreter gesichert und ihm so die lebendige Überzeugung der Mitverantwortung für das politische Gesamtgeschehen vermittelt werden.
- Die besondere Verantwortung und Treue, die jeder einzelne seinem nationalen Ursprung, seiner Sprache, der geistigen und geschichtichen Überlieferung seines Volkes schuldet, muß geachet und geschützt werden. Sie darf jedoch nicht zur politischen Machtzusammenballung, zur Herabwürdigung oder Unterdrückung fremden Volkstums mißbraucht werden. Die freie und friedliche Entfaltung nationaler Kultur ist mit der Aufrechterhaltung absoluter einzelstaatlicher Souveränität nicht mehr zu vereinbaren. Der Friede erfordert die Schaffung einer die einzelnen Staaten umfassenden Ordnung. Sobald die Zustimmung aller beteiligten Völker gewährleistet ist, muß den Trägern dieser Ordnung das Recht zustehen, auch von jedem Einzelnen Gehorsam, Ehrfurcht und notfalls auch den Einsatz von Leben und Eigentum für die höchste politische Autorität der Völkergemeinschaft zu fordern.
Gegenüber der großen Gemeinschaft, dem Staat oder etwaigen noch größeren Gemeinschaften wird nur der das rechte Verantwortungsgefühl haben, der in kleineren Gemeinschaften in irgendeiner Form an der Verantwortung mitträgt, andernfalls entwickelt sich bei denen, die nur regiert werden, das Gefühl, daß sie am Geschehen unbeteiligt und nicht dafür verantwortlich sind, und bei denen, die nur regieren, das Gefühl, daß sie niemand Verantwortung schuldig sind als der regierenden Klasse.
Helmut James von Moltke, 1939
Helmut James von Moltke, 1939
Freitag, 29. Juni 2007
Was man über den Koran wissen sollte
Was man über den Koran wissen sollte, findet sich in Meyers Konversationslexikon (1885-1892). Der aufmerksame Leser wird feststellen, daß die Zusammenfassung aus einer Zeit stammt, in der man noch nicht wußte, was Gutmenschentum ist. Warum? Weil die Aufklärung damals in höchster Blüte stand!
Das Lesen des Korans gilt den Mohammedanern für ein heilschaffendes Werk, und es dienen die einzelnen Koranstücke zugleich als Gebete, im Gebrauch des Aberglaubens auch als Talismane.
Der Text des Korans erschien vollständig gedruckt, nachdem eine im Anfang des 16. Jahrh. von Paganini in Venedig hergestellte Ausgabe auf päpstlichen Befehl verbrannt war, zuerst besorgt von Hinckelmann (Hamb. 1694), dann mit lateinischer Übersetzung und andern Beigaben von Marracci (Padua 1698), später Petersburg 1787, Kasan 1803 und öfter.
Die im Abendland verbreitetste Ausgabe ist der Flügelsche Stereotypdruck (seit 1834 in mehreren Auflagen); im Orient gilt Vervielfältigung des Korans durch den Druck meist für unzulässig, doch ist er besonders in Indien neuerdings häufig lithographiert worden. Die älteste Übersetzung wurde im 12. Jahrh. vom Abt Peter von Clugny angefertigt (hrsg. v. Bibliander, Bas. 1543); von neuern sind zu nennen die französische von Kazimirski (neue Ausg., Par. 1884), die englischen von Sale (neue Ausg., mit Kommentar von Wherry, Lond. 1881-86, 4 Bde.), Rodell (das. 1861, 2. Ausg. 1878), Palmer (Oxf. 1880), die deutschen von Wahl (Halle 1828) u. Ullmann (8. Aufl., Bielef. 1881); dazu die Konkordanz Noojoom ool Foorqan (Kalk. 1811) und die neuern von Flügel (Stereotypausgaben, zuerst Leipz. 1842) und Kazem-Bek (Petersb. 1859); Auszüge mit englischer Übersetzung von Lane (Lond. 1844, 2. Ausg. 1879) und Muir (das. 1880). Eine den größten Teil des Textes umfassende deutsche Übersetzung hat sich in Fr. Rückerts Nachlaß gefunden und wird demnächst zum Druck gelangen. Wörterbücher gaben Willmet (Rotterd. 1784), Penrice (Lond. 1873) und Dieterici ("Arabisch-deutsches Handwörterbuch zum K. und Tier und Mensch", Leipz. 1881). Vgl. Weil, Historisch-kritische Einleitung in den K. (Bielef. 1844); Nöldeke, Geschichte des Qorans (Götting. 1860); Garcin de Tassy, L'islamisme d'après le Coran (Par. 1874); Lane Poole, Le K., sa poésie et ses lois (das. 1883); Nöldeke, The K., in der "Encyclopaedia Britannica", 9. Ausg., Bd. 16.
Koran (Khoran, mit dem Artikel: Alkoran, die "Recitation" oder "Vorlesung" der göttlichen Offenbarung), das in arabischer Sprache verfaßte, von Mohammeds Schwiegervater und Nachfolger Abu Bekr aus mündlicher Überlieferung der Gläubigen und zufälligen Aufzeichnungen gesammelte und vom Kalifen Othman in offizieller Redaktion herausgegebene Religionsbuch der Mohammedaner, welches die Offenbarungen Mohammeds enthält.
Der K. schreibt sich selbst unmittelbaren göttlichen Ursprung zu, und die mohammedanische Tradition erzählt, daß derselbe von Urbeginn an in der Urschrift im siebenten Himmel vorhanden gewesen, von der gesegneten leilat al kadr ("Nacht des Ratschlusses") im Monat Ramasan an aber durch den Erzengel Gabriel dem Mohammed stückweise mitgeteilt worden sei.
Der K. in seiner gegenwärtigen Gestalt enthält 114 Suren oder Kapitel von sehr ungleichem Umfang und mit oft schwerverständlichen, zuweilen von einem in dem Kapitel zufällig vorkommenden Wort herrührenden Überschriften, z. B. "Das Eisen", "Die Schlachtordnung", "Der Sieg" etc.
Er enthält keine systematisch geordnete Glaubens- oder Sittenlehre; nicht einmal innerhalb der einzelnen Suren besteht ein geordneter Zusammenhang, da bei der Sammlung zufällige Äußerlichkeiten oft genug die Zusammenwerfung verschiedenartiger Bestandteile in den Rahmen einer Sure veranlaßten. Sprache und Darstellung sind mitunter Ausdruck einer glühenden und ergreifenden Begeisterung, oft aber auch ermüdend durch prosaischen Ton und endlose Wiederholungen.
Der Inhalt des Korans (das Nähere über denselben s. Auswahl Mohammedanische Religion) umfaßt übrigens nicht bloß Glaubens- und Sittenlehren, sondern auch Vorschriften des Zivil- und des Strafgesetzes, der Gesundheitspolizei und selbst der Politik - alles in oft schnell miteinander abwechselnden Formen der immer Gott in den Mund gelegten Erzählung, Belehrung, Verordnung, Ermahnung, Drohung und Verheißung.
Vielfach benutzt sind vom Verfasser des Korans die Überlieferungen der jüdischen und christlichen Religion, zuweilen auch die ältere arabische Sage. Die Auslegung des Korans bildet einen Hauptzweig der arabischen Litteratur.
Das Lesen des Korans gilt den Mohammedanern für ein heilschaffendes Werk, und es dienen die einzelnen Koranstücke zugleich als Gebete, im Gebrauch des Aberglaubens auch als Talismane.
Der Text des Korans erschien vollständig gedruckt, nachdem eine im Anfang des 16. Jahrh. von Paganini in Venedig hergestellte Ausgabe auf päpstlichen Befehl verbrannt war, zuerst besorgt von Hinckelmann (Hamb. 1694), dann mit lateinischer Übersetzung und andern Beigaben von Marracci (Padua 1698), später Petersburg 1787, Kasan 1803 und öfter.
Die im Abendland verbreitetste Ausgabe ist der Flügelsche Stereotypdruck (seit 1834 in mehreren Auflagen); im Orient gilt Vervielfältigung des Korans durch den Druck meist für unzulässig, doch ist er besonders in Indien neuerdings häufig lithographiert worden. Die älteste Übersetzung wurde im 12. Jahrh. vom Abt Peter von Clugny angefertigt (hrsg. v. Bibliander, Bas. 1543); von neuern sind zu nennen die französische von Kazimirski (neue Ausg., Par. 1884), die englischen von Sale (neue Ausg., mit Kommentar von Wherry, Lond. 1881-86, 4 Bde.), Rodell (das. 1861, 2. Ausg. 1878), Palmer (Oxf. 1880), die deutschen von Wahl (Halle 1828) u. Ullmann (8. Aufl., Bielef. 1881); dazu die Konkordanz Noojoom ool Foorqan (Kalk. 1811) und die neuern von Flügel (Stereotypausgaben, zuerst Leipz. 1842) und Kazem-Bek (Petersb. 1859); Auszüge mit englischer Übersetzung von Lane (Lond. 1844, 2. Ausg. 1879) und Muir (das. 1880). Eine den größten Teil des Textes umfassende deutsche Übersetzung hat sich in Fr. Rückerts Nachlaß gefunden und wird demnächst zum Druck gelangen. Wörterbücher gaben Willmet (Rotterd. 1784), Penrice (Lond. 1873) und Dieterici ("Arabisch-deutsches Handwörterbuch zum K. und Tier und Mensch", Leipz. 1881). Vgl. Weil, Historisch-kritische Einleitung in den K. (Bielef. 1844); Nöldeke, Geschichte des Qorans (Götting. 1860); Garcin de Tassy, L'islamisme d'après le Coran (Par. 1874); Lane Poole, Le K., sa poésie et ses lois (das. 1883); Nöldeke, The K., in der "Encyclopaedia Britannica", 9. Ausg., Bd. 16.
Dienstag, 19. Juni 2007
Islamkritik von Links
Wem angesichts tumber Einsortierung von Islamkritik als "rechtspopulistisch" mitunter die Sprache verschlägt, der möge sich mal den Text Solidaritätsadresse für Ralph Giordano durchlesen.
Hat man jemals schon eine so messerscharfe und freimütige Kritik am real-existierenden Mohammedanismus gelesen? Warum, fragt man sich da, schöpfen nicht auch Grüne Politiker aus diesem Fundus der Ideologiekritik? Hat sie bisher noch keiner darauf hingewiesen, daß es sich bei den allermeinsten Moscheebauten um abgeschottete ideologische Räume handelt, in denen antiliberale, 'gottesherrschaftliche' und menschenrechtswidrige Denk- und Einstellungsmuster reproduziert und stabilisiert werden oder ist von der sagenumwobenen emanzipatorischen Politikkultur, auf die Volker Beck doch so stolz ist nichts mehr übrig geblieben? Sollte letzteres der Fall sei, stünde zu befürchten, daß den Grünen eine Teilschuld an den heruntergekommen die politisch-ideologischen Verhältnissen zukommen könnte. Nicht auszudenken!
Hat man jemals schon eine so messerscharfe und freimütige Kritik am real-existierenden Mohammedanismus gelesen? Warum, fragt man sich da, schöpfen nicht auch Grüne Politiker aus diesem Fundus der Ideologiekritik? Hat sie bisher noch keiner darauf hingewiesen, daß es sich bei den allermeinsten Moscheebauten um abgeschottete ideologische Räume handelt, in denen antiliberale, 'gottesherrschaftliche' und menschenrechtswidrige Denk- und Einstellungsmuster reproduziert und stabilisiert werden oder ist von der sagenumwobenen emanzipatorischen Politikkultur, auf die Volker Beck doch so stolz ist nichts mehr übrig geblieben? Sollte letzteres der Fall sei, stünde zu befürchten, daß den Grünen eine Teilschuld an den heruntergekommen die politisch-ideologischen Verhältnissen zukommen könnte. Nicht auszudenken!
Montag, 28. Mai 2007
Werde ganz!
Der gespaltene Mensch ist unglücklich. Er ist es auch dann, wenn ihm alles gelingt und wenn ihm jeder Wunsch erfüllt wird. Das Gelungene befriedigt ihn nicht, weil ein Teil seines Wesens sich an der Befriedigung nicht beteiligt. Der erfüllte Wunsch bringt ihm keine Freude mehr, weil er im Wunsche selbst gespalten blieb und in der späteren Freude nicht ganz werden kann. Kein äußeres Glück macht ihn glückselig. Kein Lebenserfolg gewährt ihm den Genuß der Entspannung. Ihm fehlt das innere Organ, um glückselig zu werden; denn dieses Organ heißt Harmonie, übereinstimmende Totalität der Triebe und Fähigkeiten, Eintracht zwischen Instinkt und Geist, zwischen Glauben und Wissen.
Der gespaltene Mensch ist unglückselig. Ewiges Unbehagen ist sein Verhängnis; ewige und zwar hoffnungslose Jagd nach neuer Lust ist seine Bestimmung; Enttäuschung wartet auf ihn überall. Enttäuscht, sucht er nach neuem, unerprobtem Lustkitzel; er verlangt nach unerhörten Möglichkeiten; er verdreht den Geschmack, entstellt die Kunst und ist bereit, alle Abgründe des Bösen heraufzubeschwören und durchzustöbern, um einen neuen Reiz zu gewinnen, um ein neues, noch nie dagewesenes "Labsal" auszukosten. Er möge nur suchen und stöbern ... Gespalten, taugt er selbst für Glückseligkeit nicht; und was Seligkeit ist, wird er auch nie erfahren. Einem partiellen Genießer lächelt kein Genuß; einem gespaltenen Menschen lacht keine Sonne ...
Es wäre ein großer Fehler, diese ewige Unzufriedenheit, als Zeichen einer feineren, einer edleren Natur, die sich mit "gemeinen irdischen Freuden" nicht zufriedenstellen kann, zu deuten. Das Gespaltensein ist nicht eine höhere Errungenschaft, der man nacheifern dürfte; im Gegenteil, es ist eine Krankheit des Geistes, die man zu überwinden hat. Es darf uns nicht imponieren, daß die Helden Lord Byrons so souverän tun, als ob ihre Schwermut sie zu Halbgöttern erhöbe. Wir dürfen den Götheschen Faust nicht als einen Übermenschen bewundern, weil nämlich seine "zwei Seelen" sich von einander trennen wollen und weil er sich dem lustversprechenden Teufel verschreibt. Das achzehnte und das neunzehnte Jahrhundert hatten den Mut gehabt, sich ihre angeerbte geistige Spaltung zum Bewußtsein zu bringen und laut auszusprechen. Aber dieser Mut klang nach Selbstsicherheit, nach souveränem Stolz und nach Herausforderung; und so wurde die Spaltung für eine hohe Errungenschaft, für das Zeichen eines "höheren Menschen", eines "neuen Zeitalters" ausgegeben und genommen. Die Uneinigkeit zwischen Glauben und Verstand war schon lange da. Aber nun wurde daraus nach und nach eine Apologie des Zerfalls, eine unverhohlene Rebellion gegen das Göttliche, eine systematische Entweihung des Lebens und eine folgerichtige Absage an das Christentum. Diese Absage wurde schließlich bei Nietsche in Tönen des Hasses und der Verherrlichung vorgetragen, und fand in den Ereignissen der letzten Jahrzehnte ihre praktische Verwirklichung und Vollendung.
Der gespaltene Mensch ist unglückselig. Wenn er die Wahrheit empfängt, kann er nicht entscheiden, ob das die Wahrheit ist oder nicht, weil ihm die Fähigkeit zur totalen Evidenz fehlt. Hat er sie im Bewußtsein, so schweigt sein Gefühl und er läßt sie als nichteinleuchtenden Bewußtseinsinhalt fallen. Er versteht den eigenen Besitz nicht zu besitzen und den erworbenen Reichtum nicht zu erfassen. Vom Licht "weiß" er, daß es eben Licht ist, aber er schaut es nicht als Licht und bringt keine Freude ihm entgegen. So verliert er auch den Glauben daran, daß es eine totale Evidenz geben kann. Er will sie auch den Anderen nicht gönnen und begegnet ihr mit Spott; und um diesen Spott zu bekräftigen, schafft er eine Doktrin, der zufolge der Mensch überhaupt nichts Sicheres wissen kann (Agnostizismus) und verdammt ist, alles nur relativ zu erfassen und relativ anzuerkennen (Relativismus). Daraus entsteht eine systematisch gezüchtete und gepflegte Erkenntis-Anämie, ein grundsätzliches "Weder-Ja-noch-Nein", eine Flucht vor der Evidenz. Der gespaltene Mensch ist ein geistig entkräfteter Mensch. Er ist unfähig, Ueberzeugungen zu haben. In Fragen der Bekenntnis ist er gelähmt.
So etwa geht es ihm auf allen Gebieten des Geistes. - Er verwandelt das Problem des Guten-und-Bösen in die Frage nach dem Relativ-Nützlichen und Relativ-Schädlichen (Utilitarismus) und überläßt diese Fragen zufälligen, verstandesmäßigen Erwägungen. Und im Grunde genommen ist er der Ansicht, daß "kluge Menschen" sich mit dieser Frage überhaupt nicht abgeben. - In Sachen des Vaterlandes, der Rechtsfreiheit, der Gerechtigkeit steht er auf demselben "klugen" Standpunkt der Relativität; und zwar deswegen, weil seine Liebe und sein Rechtsempfinden so gespalten und entkräftet sind, wie seine Evidenz. - Für die Religion kann er überhaupt nichts übrig haben, denn sie erhebt Anspruch auf eine totale Herzens-Evidenz und kann sich mit keinen partiellen Zugeständnissen oder "Neigungen" begnügen. Der religiöse Mensch ist ganz, darum ist der gespaltene Mensch entweder religionslos oder religionsfeindlich. - Nur die Kunst hat er gerne, ganz besonders wenn sie ihren großen Dienst vernachlässigt und seinen Launen zu entsprechen sucht. Dann muß sie aber ihrer gesunden und tief verankerten Totalität absagen und selbst partiell werden: sie muß ihr sinnliches Gewand so reizvoll wie möglich ausputzen, sie muß einem sinnberauschenden "Impressionismus" oder "Futurismus" huldigen, sie muß sich äußerlich, arrogant, nervenkitzelnd gestalten - um nicht abgelehnt zu werden.
Dieser Entartung der Kultur liegt ein entartetes Dasein, ein gespaltenes, partielles Seelenleben zugrunde, das keine Verankerung kennt und alles Endgültige meidet. Der gespaltene Mensch balanciert sein Leben lang zwischen Nützlichkeitserwägungen, die er mit dem Wort "Vernunft", "vernünftig" bezeichnet, und augenblicklicher Laune, die er als "Stimmung" gerne hat. Gelingt ihm dieses Gleichgewicht, so wird seine Existenz tolerabel, gelingt es ihm nicht, so wird sie miserabel; er weiß nichts zu beginnen, denn die tieferen Quellen und die wahren Heiligtümer des Lebens fehlen ihm. Hieraus das "taedium vitae", die Langeweile am Leben.
Liebt er, so ist er nie sicher, daß er liebt, denn seine Liebe ist partiell. Liebt er nicht, so ist auch sein Nicht-Lieben partiell und wenig wert. Sein Ja ist nicht mehr als ein halbes Ja und spielt mit Nein; aber sein Nein ist ebenso relativ, bedingt, provisorisch und unzuverlässig. Sein Wort ist rein phonetisch aufzunehmen, denn der Sinn seines Wortes ist vieldeutig und der geistige Wert seines Wortes ist eine verschwindende Größe. In allen Situationen des Lebens kann er "so", aber auch "ganz anders": denn unverankert wie er ist, will er sich nicht binden. Ihm fehlt die wichtigste, die wertvollste Grundlage des geistigen Charakters: das eine, das einheitliche, das einzige Zentrum des Lebens.
Ein gediegener geistiger Charakter gleicht einer befestigten Stadt, in deren Mitte sich eine Burg erhebt: hier steht ein Tempel Gottes, mit dem Altar, auf dem eine nie ausgehende Flamme loht. Das ist das heilige Zentrum der Stadt, von dem aus alle Hausherde angezündet werden. Hier vereinigt sich alles; hier werden alle wichtigen Beschlüsse gefaßt; von hier aus strahlt der zentrale, der maßgebende Wille aus; hier sammelt sich die Kraft, hier wappnet sich die Treue.
Ein gespaltener Mensch kann sich diesen persönlichen Charakterbau und Lebensrhythmus gar nicht vorstellen. Er hat Wohlgefallen an dem eigenen inneren "Vielerlei" und deutet seinen Zustand, als eine "höhere Differenzierung des Geistes". Er besitzt gleichsam mehrere Zentren nebeneinander, schwört keinem von ihnen die Treue und scheint somit über jeden Verrat erhaben zu sein. Wird eines von diesen Zentren unbequem oder unhaltbar, dann zieht er in eine andere "Wohnung" und richtet sich wieder bequem ein, durch nichts gebunden, zu allem bereit, an nichts glaubend, nichts liebend, alles leicht verratend und selbstzufrieden. Dabei weiß er nur zu wenig von seiner wirklichen Lage und von seiner großen Not.
Diese Spaltung des heutigen Menschen ist in der Zeit entstanden, als er die autoritäte Religion ablehnte und sich dem freien Forschen und dem freien Denken ergab. Das freie Forschen wäre an sich mit der christlichen Religion durchaus nicht unvereinbar. Im Gegenteil_ es dürfte dem Menschen von Gott gewährt sein, die göttliche Offenbarung nicht allein aus der heiligen Schrift und nicht nur im inneren Lebenshauch, als Liebe, Gewissen und freies Geistsein, sondern auch in der Kontemplation der geschaffenen Kreatur und ihres verborgenen Wesens in Andacht wahrzunehmen. Aber geschichtlich gestaltete sich die Entwicklung als säkularisierendes Auseinandergehen: die Kirche hatte kein Vertrauen zum frei forschenden Menschen und der forschende Mensch empfand die Bevormundung der Kirche als Last. Er wandte sich an die Natur mit gespannter Neugierde und vergaß, die christliche Liebe mitzunehmen. Er widmete sich der Naturbeobachtung, pflegte dieselbe mit herrlichem Eifer und verlernte in der Beobachtung der sinnlichen Welt die christliche Kontemplation. Er schüttelte die religiösen Prämissen als empirisch unbrauchbare Voraussetzungen oder gar Hemmungen ab und suchte alles ohne Gott zu verstehen und zu erklären. Den Begriff "Gott" konnte er als erklärende Hypothese nicht mehr brauchen und stellte fest, daß seine "Erklärungen" umso besser gelingen, je mehr er das Göttliche überhaupt ausschaltet. Und nur die Philosophen versuchten noch von Gott zu reden, indem auch ihre Aussagen immer spärlicher wurden, sich immer mehr von rationalistischen Verboten und Konsequenz-Forderungen einschüchtern ließen, und nach und nach das Problem der Substanz überhaupt ausschalteten.
So wurde allmählich aus der christlichen Herzensschau, aus der Gott-liebenden und Gott-erforschenden kontemplativen Vernunft, ein abstrahierender Verstand, ein trockenes, beobachtendes und analysierendes Denken, eine herzlose Induktion ohne Schau und Einfühlung. An der äußeren Natur ausgetragen, wurde die Methode alsdann auf die innere, seelisch-geistige Welt übertragen und angewandt, und wirkte sich verheerend aus. Die äußeren Zusammenhänge der sinnlichen Welt wurden erfaßt und verwertet; das spärliche Beobachten bewährte sich hier vom Standpunkt der Technik (nicht der eigentlichen Wahrheit!). Aber die inneren Realitäten des Geistes und die feinen Zusammenhänge der menschlichen Seele gingen unter einem eisigen Hauch der mechanizistischen Weltanschauung verloren. Der gespaltene Mensch schuf eine gespaltene Doktrin über die äußere Welt und verlor die Reste seines gespaltenen Geistes in der herzlosen und schaulosen Selbstbeobachtung. Was ihm blieb, waren analysierender Verstand, entankerter und entfesselter Wille und entgeistigter Selbsterhaltungstrieb. Darüberhinaus: spöttische Ablehnung des Glaubens, falsche Scham for dem eigenen ausgetrockneten Herzen und Verachtung der schöpferischen Schau, die als "bodenloses Phantasieren" abgelehnt wurde.
Die gegenwärtige Krise ist die Krise des gespaltenen Menschen. Je früher man das einsehen wird, desto besser. Je mehr Mut man finden wird, diesen Tatbestand zu formulieren, zu beherzigen und die Konsequenzen zu ziehen, desto eher wird die Ueberwindung der Krise beginnen. Der Mensch muß sich wieder zusammenfinden. Er muß die disjecta membra, d.h. die gespalten- und außeinanderliegenden Organe des Geistes sammeln, beleben und zur neuen Synthese bringen. Die menschliche Klugheit muß sich wieder zum Glauben durchringen und die falsche Scham vor dem eigenen Herzen überwinden. Das Denken muß sich mit der schöpferischen Einbildung aussöhnen und wieder schauend, intuitiv, kontemplativ werden. Die autistische Phantasie muß die Schule der gegenständlichen Intention und der geistigen Verantwortung durchmachen. Der formale und entfesselte Wille muß sich dem Gewissen und dem Herzen unterstellen ... Dann wird der Verstand schauen lernen und zur Vernunft werden; und die kontemplative Vernunft wird dem Herzen gehorchen, sodaß alle Wege zum Herzen führen und dem Herzen entsteigen werden. Herzensschau, Gewissenswille und glaubendes Denken sind die drei großen geistigen Mächte der Zukunft, die allen Problemen des Daseins gewachsen sind, weil sie den Menschen zur schöpferischen Totalität gestalten.
Wer in die Ferne mit Hoffnung blickt der liest über der engen Pforte der Zukunft die schlichten Worte: "werde ganz!" ... -
Der gespaltene Mensch ist unglückselig. Ewiges Unbehagen ist sein Verhängnis; ewige und zwar hoffnungslose Jagd nach neuer Lust ist seine Bestimmung; Enttäuschung wartet auf ihn überall. Enttäuscht, sucht er nach neuem, unerprobtem Lustkitzel; er verlangt nach unerhörten Möglichkeiten; er verdreht den Geschmack, entstellt die Kunst und ist bereit, alle Abgründe des Bösen heraufzubeschwören und durchzustöbern, um einen neuen Reiz zu gewinnen, um ein neues, noch nie dagewesenes "Labsal" auszukosten. Er möge nur suchen und stöbern ... Gespalten, taugt er selbst für Glückseligkeit nicht; und was Seligkeit ist, wird er auch nie erfahren. Einem partiellen Genießer lächelt kein Genuß; einem gespaltenen Menschen lacht keine Sonne ...
Es wäre ein großer Fehler, diese ewige Unzufriedenheit, als Zeichen einer feineren, einer edleren Natur, die sich mit "gemeinen irdischen Freuden" nicht zufriedenstellen kann, zu deuten. Das Gespaltensein ist nicht eine höhere Errungenschaft, der man nacheifern dürfte; im Gegenteil, es ist eine Krankheit des Geistes, die man zu überwinden hat. Es darf uns nicht imponieren, daß die Helden Lord Byrons so souverän tun, als ob ihre Schwermut sie zu Halbgöttern erhöbe. Wir dürfen den Götheschen Faust nicht als einen Übermenschen bewundern, weil nämlich seine "zwei Seelen" sich von einander trennen wollen und weil er sich dem lustversprechenden Teufel verschreibt. Das achzehnte und das neunzehnte Jahrhundert hatten den Mut gehabt, sich ihre angeerbte geistige Spaltung zum Bewußtsein zu bringen und laut auszusprechen. Aber dieser Mut klang nach Selbstsicherheit, nach souveränem Stolz und nach Herausforderung; und so wurde die Spaltung für eine hohe Errungenschaft, für das Zeichen eines "höheren Menschen", eines "neuen Zeitalters" ausgegeben und genommen. Die Uneinigkeit zwischen Glauben und Verstand war schon lange da. Aber nun wurde daraus nach und nach eine Apologie des Zerfalls, eine unverhohlene Rebellion gegen das Göttliche, eine systematische Entweihung des Lebens und eine folgerichtige Absage an das Christentum. Diese Absage wurde schließlich bei Nietsche in Tönen des Hasses und der Verherrlichung vorgetragen, und fand in den Ereignissen der letzten Jahrzehnte ihre praktische Verwirklichung und Vollendung.
Der gespaltene Mensch ist unglückselig. Wenn er die Wahrheit empfängt, kann er nicht entscheiden, ob das die Wahrheit ist oder nicht, weil ihm die Fähigkeit zur totalen Evidenz fehlt. Hat er sie im Bewußtsein, so schweigt sein Gefühl und er läßt sie als nichteinleuchtenden Bewußtseinsinhalt fallen. Er versteht den eigenen Besitz nicht zu besitzen und den erworbenen Reichtum nicht zu erfassen. Vom Licht "weiß" er, daß es eben Licht ist, aber er schaut es nicht als Licht und bringt keine Freude ihm entgegen. So verliert er auch den Glauben daran, daß es eine totale Evidenz geben kann. Er will sie auch den Anderen nicht gönnen und begegnet ihr mit Spott; und um diesen Spott zu bekräftigen, schafft er eine Doktrin, der zufolge der Mensch überhaupt nichts Sicheres wissen kann (Agnostizismus) und verdammt ist, alles nur relativ zu erfassen und relativ anzuerkennen (Relativismus). Daraus entsteht eine systematisch gezüchtete und gepflegte Erkenntis-Anämie, ein grundsätzliches "Weder-Ja-noch-Nein", eine Flucht vor der Evidenz. Der gespaltene Mensch ist ein geistig entkräfteter Mensch. Er ist unfähig, Ueberzeugungen zu haben. In Fragen der Bekenntnis ist er gelähmt.
So etwa geht es ihm auf allen Gebieten des Geistes. - Er verwandelt das Problem des Guten-und-Bösen in die Frage nach dem Relativ-Nützlichen und Relativ-Schädlichen (Utilitarismus) und überläßt diese Fragen zufälligen, verstandesmäßigen Erwägungen. Und im Grunde genommen ist er der Ansicht, daß "kluge Menschen" sich mit dieser Frage überhaupt nicht abgeben. - In Sachen des Vaterlandes, der Rechtsfreiheit, der Gerechtigkeit steht er auf demselben "klugen" Standpunkt der Relativität; und zwar deswegen, weil seine Liebe und sein Rechtsempfinden so gespalten und entkräftet sind, wie seine Evidenz. - Für die Religion kann er überhaupt nichts übrig haben, denn sie erhebt Anspruch auf eine totale Herzens-Evidenz und kann sich mit keinen partiellen Zugeständnissen oder "Neigungen" begnügen. Der religiöse Mensch ist ganz, darum ist der gespaltene Mensch entweder religionslos oder religionsfeindlich. - Nur die Kunst hat er gerne, ganz besonders wenn sie ihren großen Dienst vernachlässigt und seinen Launen zu entsprechen sucht. Dann muß sie aber ihrer gesunden und tief verankerten Totalität absagen und selbst partiell werden: sie muß ihr sinnliches Gewand so reizvoll wie möglich ausputzen, sie muß einem sinnberauschenden "Impressionismus" oder "Futurismus" huldigen, sie muß sich äußerlich, arrogant, nervenkitzelnd gestalten - um nicht abgelehnt zu werden.
Dieser Entartung der Kultur liegt ein entartetes Dasein, ein gespaltenes, partielles Seelenleben zugrunde, das keine Verankerung kennt und alles Endgültige meidet. Der gespaltene Mensch balanciert sein Leben lang zwischen Nützlichkeitserwägungen, die er mit dem Wort "Vernunft", "vernünftig" bezeichnet, und augenblicklicher Laune, die er als "Stimmung" gerne hat. Gelingt ihm dieses Gleichgewicht, so wird seine Existenz tolerabel, gelingt es ihm nicht, so wird sie miserabel; er weiß nichts zu beginnen, denn die tieferen Quellen und die wahren Heiligtümer des Lebens fehlen ihm. Hieraus das "taedium vitae", die Langeweile am Leben.
Liebt er, so ist er nie sicher, daß er liebt, denn seine Liebe ist partiell. Liebt er nicht, so ist auch sein Nicht-Lieben partiell und wenig wert. Sein Ja ist nicht mehr als ein halbes Ja und spielt mit Nein; aber sein Nein ist ebenso relativ, bedingt, provisorisch und unzuverlässig. Sein Wort ist rein phonetisch aufzunehmen, denn der Sinn seines Wortes ist vieldeutig und der geistige Wert seines Wortes ist eine verschwindende Größe. In allen Situationen des Lebens kann er "so", aber auch "ganz anders": denn unverankert wie er ist, will er sich nicht binden. Ihm fehlt die wichtigste, die wertvollste Grundlage des geistigen Charakters: das eine, das einheitliche, das einzige Zentrum des Lebens.
Ein gediegener geistiger Charakter gleicht einer befestigten Stadt, in deren Mitte sich eine Burg erhebt: hier steht ein Tempel Gottes, mit dem Altar, auf dem eine nie ausgehende Flamme loht. Das ist das heilige Zentrum der Stadt, von dem aus alle Hausherde angezündet werden. Hier vereinigt sich alles; hier werden alle wichtigen Beschlüsse gefaßt; von hier aus strahlt der zentrale, der maßgebende Wille aus; hier sammelt sich die Kraft, hier wappnet sich die Treue.
Ein gespaltener Mensch kann sich diesen persönlichen Charakterbau und Lebensrhythmus gar nicht vorstellen. Er hat Wohlgefallen an dem eigenen inneren "Vielerlei" und deutet seinen Zustand, als eine "höhere Differenzierung des Geistes". Er besitzt gleichsam mehrere Zentren nebeneinander, schwört keinem von ihnen die Treue und scheint somit über jeden Verrat erhaben zu sein. Wird eines von diesen Zentren unbequem oder unhaltbar, dann zieht er in eine andere "Wohnung" und richtet sich wieder bequem ein, durch nichts gebunden, zu allem bereit, an nichts glaubend, nichts liebend, alles leicht verratend und selbstzufrieden. Dabei weiß er nur zu wenig von seiner wirklichen Lage und von seiner großen Not.
Diese Spaltung des heutigen Menschen ist in der Zeit entstanden, als er die autoritäte Religion ablehnte und sich dem freien Forschen und dem freien Denken ergab. Das freie Forschen wäre an sich mit der christlichen Religion durchaus nicht unvereinbar. Im Gegenteil_ es dürfte dem Menschen von Gott gewährt sein, die göttliche Offenbarung nicht allein aus der heiligen Schrift und nicht nur im inneren Lebenshauch, als Liebe, Gewissen und freies Geistsein, sondern auch in der Kontemplation der geschaffenen Kreatur und ihres verborgenen Wesens in Andacht wahrzunehmen. Aber geschichtlich gestaltete sich die Entwicklung als säkularisierendes Auseinandergehen: die Kirche hatte kein Vertrauen zum frei forschenden Menschen und der forschende Mensch empfand die Bevormundung der Kirche als Last. Er wandte sich an die Natur mit gespannter Neugierde und vergaß, die christliche Liebe mitzunehmen. Er widmete sich der Naturbeobachtung, pflegte dieselbe mit herrlichem Eifer und verlernte in der Beobachtung der sinnlichen Welt die christliche Kontemplation. Er schüttelte die religiösen Prämissen als empirisch unbrauchbare Voraussetzungen oder gar Hemmungen ab und suchte alles ohne Gott zu verstehen und zu erklären. Den Begriff "Gott" konnte er als erklärende Hypothese nicht mehr brauchen und stellte fest, daß seine "Erklärungen" umso besser gelingen, je mehr er das Göttliche überhaupt ausschaltet. Und nur die Philosophen versuchten noch von Gott zu reden, indem auch ihre Aussagen immer spärlicher wurden, sich immer mehr von rationalistischen Verboten und Konsequenz-Forderungen einschüchtern ließen, und nach und nach das Problem der Substanz überhaupt ausschalteten.
So wurde allmählich aus der christlichen Herzensschau, aus der Gott-liebenden und Gott-erforschenden kontemplativen Vernunft, ein abstrahierender Verstand, ein trockenes, beobachtendes und analysierendes Denken, eine herzlose Induktion ohne Schau und Einfühlung. An der äußeren Natur ausgetragen, wurde die Methode alsdann auf die innere, seelisch-geistige Welt übertragen und angewandt, und wirkte sich verheerend aus. Die äußeren Zusammenhänge der sinnlichen Welt wurden erfaßt und verwertet; das spärliche Beobachten bewährte sich hier vom Standpunkt der Technik (nicht der eigentlichen Wahrheit!). Aber die inneren Realitäten des Geistes und die feinen Zusammenhänge der menschlichen Seele gingen unter einem eisigen Hauch der mechanizistischen Weltanschauung verloren. Der gespaltene Mensch schuf eine gespaltene Doktrin über die äußere Welt und verlor die Reste seines gespaltenen Geistes in der herzlosen und schaulosen Selbstbeobachtung. Was ihm blieb, waren analysierender Verstand, entankerter und entfesselter Wille und entgeistigter Selbsterhaltungstrieb. Darüberhinaus: spöttische Ablehnung des Glaubens, falsche Scham for dem eigenen ausgetrockneten Herzen und Verachtung der schöpferischen Schau, die als "bodenloses Phantasieren" abgelehnt wurde.
Die gegenwärtige Krise ist die Krise des gespaltenen Menschen. Je früher man das einsehen wird, desto besser. Je mehr Mut man finden wird, diesen Tatbestand zu formulieren, zu beherzigen und die Konsequenzen zu ziehen, desto eher wird die Ueberwindung der Krise beginnen. Der Mensch muß sich wieder zusammenfinden. Er muß die disjecta membra, d.h. die gespalten- und außeinanderliegenden Organe des Geistes sammeln, beleben und zur neuen Synthese bringen. Die menschliche Klugheit muß sich wieder zum Glauben durchringen und die falsche Scham vor dem eigenen Herzen überwinden. Das Denken muß sich mit der schöpferischen Einbildung aussöhnen und wieder schauend, intuitiv, kontemplativ werden. Die autistische Phantasie muß die Schule der gegenständlichen Intention und der geistigen Verantwortung durchmachen. Der formale und entfesselte Wille muß sich dem Gewissen und dem Herzen unterstellen ... Dann wird der Verstand schauen lernen und zur Vernunft werden; und die kontemplative Vernunft wird dem Herzen gehorchen, sodaß alle Wege zum Herzen führen und dem Herzen entsteigen werden. Herzensschau, Gewissenswille und glaubendes Denken sind die drei großen geistigen Mächte der Zukunft, die allen Problemen des Daseins gewachsen sind, weil sie den Menschen zur schöpferischen Totalität gestalten.
Wer in die Ferne mit Hoffnung blickt der liest über der engen Pforte der Zukunft die schlichten Worte: "werde ganz!" ... -
Aus: Iwan Iljin "Blick in die Ferne", Zollikon 1945
Samstag, 12. Mai 2007
Die Flucht vor dem Licht
Es ist nicht mehr als das Vorurteil, daß jedes Wesen - der aufgehenden Sonne harrt und sich auf das dämmernde Tageslicht freut. Es gibt auch solche Geschöpfe, die das Licht scheuen und bei Sonnenhelle erblinden, die für die Nacht geboren sind, die sich vor dem Licht verkriechen und die Finsternis genießen. Der Adler öffnet sein Auge der Sonne entgegen; aber der Nachtaffe versteckt sich in seine Baumhöhle, und die Katzeneule hockt den Tag über in ihrem dunklen Ruinenloch.
So gibt es auch unter den Menschen solche, deren Blick nur geistige Nacht verträgt, nur im Einerlei der geistigen Finsternis zur Ruhe kommt und mit verkrampftem Auge jedem göttlichen Lichtstrahl begegnet. Der Eine frohlockt wenn er etwas Göttliches wahrnimmt, sei es in der Natur, oder im Menschen oder in den Räumen der übersinnlichen Schau. Der Andere fühlt sich dadurch geblendet und beunruhigt, und möchte überhaupt nichts mehr davon wissen ...
Wer von den Menschen sich in die finstere Geistlosigkeit der eigenen Seele endgültig eingelebt hat, der wird geistscheu und lichtfeindlich: er kann das Leuchten des Geistes nicht empfangen, er flieht, er höhnt, er lästert, er wird gehäßig, vielleicht sogar mordbereit. Darum weiß die Geschichte so viel über die Ermordung der guten, der besten, der geistesleuchtenden Menschen zu berichten. Und wenn jemand als Sehender auftritt und über das von ihm Gesehene berichtet, oder sich auch schweigend einfach als Lichtkundiger benimmt, soo achter er nur, daß seine Persönlichkeit nicht zum Stein des Anstoßes für alle Nachtaffen und Nachteulen werden ... Und darum muß sich jeder, der missionieren geht, zum Martyrium vorbereiten.
Menschen, bei denen das geistige Auge ungeweckt bliebt, treten ins Leben mit wachem Instinkt und mit schlafendem Geist. Sie suchen sich dementsprechend einzurichten - im Äußeren, und darum auch im Inneren: denn bei ihnen folgt das innere Leben den Ansprüchen des äußeren Nutzens und paßt sich ihnen an. So wird ihnen ihre geistige Indifferenz zum Maß für alle Wertungen und Handlungen. Geistig ziehen sie ins Leben mit geschlossenem Auge und mit gelöschtem Licht und machen zuweilen den unheimlichen Eindruck eines "fliegenden Holländers", der aus der Nacht in die Nacht als verhexter Unheilträger an uns vorbei schwebt. Übrigens spüren solche Menschen ihren eigenen Nutzen ausgezeichnet; nur in der geistigen Dimension leben sie nicht. Im Irdischen sind sie gewandt; aber zuweilen hat man das Gefühl, daß sie nichts vom Himmlischen wissen. So gehen sie durch's Leben; so handeln sie; so beurteilen sie die Welt und die Menschen. Die geistige Stockfinsternis, die in ihnen herrscht, stört sie nicht; im Gegenteil: sie wird ihnen zur Quelle des seelischen Gleichgewichtes und der Ruhe. Unvermerkt werden sie zu vollendeten Finsterlingen.
Der Finsterling genießt seine Finsternis und haßt das Licht. Er liebt seine Nacht umso mehr, als er eben Mühe hatte, diese Dunkelkammer in seinem Innersten herzustellen und sich in ihr zu behaupten. Denn nur in seltenen Fällen der vollstänigen geistigen Blindheit oder Idiotie kann es dem Menschen leicht fallen, sich endgültig in einer radikalen Gottesleugnung zu verankern und sich zu einem totalen Finsterling zu gestalten. In den meisten Fällen läßt sich der Gott-gegebene und Natur-vererbte "Geist des Instinktes" nicht ohne weiteres ignorieren. Ungeweckt bei der Erziehung, vernachläßigt im selbständigen Leben, schlummert er in der gottlosen Seele unter dem verlassenen Kellergewölbe und kann jederzeit aus eigenem Antrieb erwachen, sein freies Schauen beginnen und sein lautloses Leuchten von sich geben. Das geschieht auch. Dann wird die beruhigende Finsternis von innen durchbrochen, das seelische Gleichgewicht schwindet, alles gerät ins Wanken, wie bei einem Erdbeben, und der Menscch kommt in einen geistigen "Bürgerkrieg" mit sich selbst.
Der arme Mann schien sich herrliche ohne Gott und Geist - herrlich und zum Allesdürfen entfesselt. Er stellte sich seine mitternächtliche Souveränität vor und meinte, er hätte allen möglichen Hähnen den Hals abgedreht; und plötzlich kräht der Hahn in seinem eigenen Innern. Er hatte sich endgültig eingeredet, es gäbe kein Licht und keine Sonne; und siehe da, sein eigenes geistiges Auge, von dem er nichts wußte, durchstrahlt aus der Tiefe die düsteren Räume seines Herzens. Zuweilen genügt ein Augenblick dieses Strahlens, um das Falsche der bisherigen Einstellung zu beleuchten. Klein kommt sich dann der "Große" vor, armselig, feige, und, was am unerträglichsten ist, lächerlich. Er sieht seine ersehnte und gelobte Finsternis schwinden: denn sie kam nicht aus der Welt, sie war nicht Naturgesetz - sie war bloß sein eigenes Erzeugnis, die gewollte Luft seiner Blindheit. Er hatte sie erdichtet, weil er sie für seine geistwidrige Entfesselung brauchte. Und plötzlich sieht er das alles ein: er schaut seine objektive Nichtigkeit und kann sie nicht akzeptieren. Er sucht nach Ausweg und findet ihn nicht.
Der innere Konflikt ist schwer und schmerzlich, und zwar umso mehr, als er von stolzen Naturen einsam und wortlos ausgetragen wird.
Der stolze Mann fühlt sich bloßgestellt und verurteilt, und dies von einer Instanz, deren Nichtsein und deren Unwert er sich sein Leben lang eingeredet hatte; und - das Schmerzlichste - im letzten Grunde weiß er, daß diese Verurteilung zurecht besteht. Er weiß es, will es nicht zugeben und sucht sich selber das Gegenteil davon zu beweisen; und kann es nicht. Er will zurück in die beruhigende und entfesselnde Finsternis; aber die gibt es nicht mehr: ein Licht strahlt aus der Tiefe, ringt mit der Dunkelheit und verwandelt sie in eine wogende Dämmerung. Er will sich, nach wie vor, als Finsterling behaupten, aber die Dämmerung hindert ihn daran und das eigene Licht überführt ihn. Er versucht seine Vergangenheit zu rechtfertigen und seine Selbst-Apologie zusammenzustellen; und scheitert auch daran. Er möchte das Licht auslöschen, oder es wenigstens eindämmen, verdächtigen, sich ausreden - und das gelingt ihm nicht. Das kränkt ihn bis ins Tiefste. Aus dieser Kränkung entsteht ein Haß, der sich zu entladen sucht; am wem? Aus dieser Erniedrigung erwächst ein nagender Neid - gegen alles, was Licht ist, gegen alle, die das Licht tragen, ausstrahlen oder genießen. Neid und Haß erzeugen den Durst nach Rache; und die Rache ruft zum Mord.
Die Tragödie des Finsterlings, der in den Strahlen des Lichtes steht, ist bitter und tief. Er kann weder das Licht annehmen, noch in seine frühere Finsternis zurückkehren. Es beibt ihm nichts anderes, als sich gegen das Licht aufzulehnen: sich im Glanz seines Unrechtes zu zeigen und sich als den mächtigen Lichtfeind zu erweisen. Er betritt also den Weg des gestürzten Engels. Kann er das Licht nicht empfangen, so will er jetzt der "Finster-Mächtige" werden; denn die Nacht hat auch ihre Macht und ihre Größe. Jetzt gilt es, sich zu behaupten und alles herauszufordern - Gott und die Welt, und das Licht, jede wahre Qualität und alle Menschen. Jetzt gilt es die Finsternis zu erheben und das Laster zu rechtfertigen; und nocht mehr: das Licht bloßzustellen und womöglich eingehen zu lassen, damit es nicht mehr leuchte und damit keiner es trage und genieße. Das dämonische Element rührt sich in ihm und gönnt ihm keine Ruhe: er muß zum Widersacher Gottes werden.
Er sieht sich zwischen drei Lichtquellen und alle drei sind ihm unerträglich: das herrliche Licht Gottes, die innere Flamme seines eigenen Gewissens und das irdische Leuchten des Propheten.
Aber das Licht Gottes ist durch nichts zu erreichen: gütig und mächtig durchstrahlt und überstrahlt es alles Seiende, aus einer geheimnisvollen Ferne, die zugleich in aller nächster Nähe wirkt und leuchtet. Da kann er sich nur abwenden und in den Dienst der finsteren Macht stellen.
Dann beginnt er ein hoffnungsloses Ringen mit dem eigenen Gewissen, mit dem Geist seines eigenen Instinktes. Er sucht diese innere Lichtmacht durch sophistische Klügeleien zu überwinden, durch immer neue, finstere Taten zu erschöpfen, durch inneren Rausch und äußeren Lärm zu übertönen; und beruhigt sich nur insofern und nur so lange, bis es ihm gelingt. Aber endgültig wird es ihm nicht gelingen. Dann kommt er in Verzweiflung, zumal er zwischen allen drei Mächten, die in Wirklichkeit Eines sind, eine inhaltliche "Verwandtschaft" und eine ständige "Zusammenarbeit" spürt ...
Also bleibt ihm nur, seine Verzweiflung an dem Propheten in seiner irdischen Gestalt, auszutoben. Dann kommt es so weit, daß die Finsterlinge sich verschwören und gemeinsam ihr Werk zu vollbringen suchen: hier stürzen sie durch Ränke und Verleumdungen den leuchtenden Rivalen, dort versuchen sie alle Heiligtümer in Trümmer zu legen, am dritten Ort - einen genialen Menschen hinzurichten, überall das Licht auszublasen und womöglich die ganze Welt mit Lüge zu überfluten und in Dämmerung einzuhüllen. Und die besten Menschen fallen ihnen zum Opfer.
Das gelingt ihnen um so leichter, da es ja so viele Durchschnittsmenschen gibt, die an und für sich zu den Finsterlingen gar nicht gehören, bloß mit ihren Minderwertigkeits-Gefühlen nicht fertig werden und daher dem Neid verfallen. Niemand will sich klein, dumm, häßlich oder sonst irgendwie zurückgestellt sehen; und jeder hat Augenblicke im Leben, wo er seine Grenzen und seine Unzulänglichkeit einsehen und ehrlich zugeben muß. Dann kommt über ihn die Gefahr des Neides und er hat etwa denselben inneren Kampf, wie der große Finsterling, nur im kleinen Maßstabe auszutragen. Und wenn der Neid nicht überwunden wird, so verkriecht er sich in die Dämmerung des Unbewußten und verwandelt sich in ein unruhiges Spähen nach fremder Größe, Gabe und Tugend; - in eine Scheelsucht, mit der ewigen Bereitschaft, sich an dem Heruntermachen des Excellenten zu beteiligen. "Schönheit strahlt heilige Triebe in die Seelen", sagte einmal Wieland. Und Schiller vollendete diese Beobachtung: "Es liebt die Welt das Strahlende zu schwärzen." .... Da schließen sich viele kleine Neidlinge zusammen, finden den größeren und bösen Neidhart, unterstellen sich ihm, und verrichten ihr böses Werk. Einzeln oder in Scharen überfällt man die besten Menschen, um sie doch einmal los zu werden und ungehindert die Luft der alltäglichen Dämmerung oder der vollendeten Finsternis atmen zu können.
Schon die prähistorische Welt wußte darüber mit Entsetzen und Schmerz zu berichten. Der unfromme Kain soll aus Neid und Haß seinen Bruder, den frommen Abel erschlagen haben; und die Erde öffnete zum ersten Mal ihren Schlund, um ein unschuldiges Blut zu empfangen. - Der leidenschaftlich-rohe und widerspenstig-böse Dämon Set soll sich seines göttlichen Bruders, des Königs Osiris, listig und verräterisch bemächtigt und ihn in vierzehn Teile zerstückelt haben; und die leuchtende Gestalt des Osiris wurde von den Ägyptern als Sonnengottheit und als Auferstehungs-Omen gefeiert, Set aber wurde in die unterirdische Finsternis versetzt. Dies die zwei berühmtesten Visionen, der vorgeschichtlichen Zeit, um die biblischen Propheten nicht zu benennen.
Dann kommen die geschichtlichen Vergehen der Neider an den Lichtträgern. Diogenes Laertius berichtet uns, wie der große epheser Philosoph Heraklites die Verbannung seines Freundes Hermodoros erlebte: "Die Epheser", sagte er, "verdienen, daß alle ihre Erwachsenen insgesamt sterben und die Stadt den Unvolljährigen überlassen, dafür, daß sie ihren besten Menschen Hermodoros verbannten, indem sie sagten - es sei unter uns keiner der Beste, gibt es aber einen solchen, so möge er anderswo und mit anderen leben - ...".
Diesen Wunsch, den Besten los zu werden, schildert auch Plutarch in der Lebensbeschreibung des Aristides: "Als damals über Aristides abgestimmt wurde, reichte, wie man es erzählt, ein dummer Bauer, der nicht einmal die Buchstaben kannte, dem Aristides, den er für einen gemeinen Mann ansah, seine Scherbe hin und bat ihn, den Namen Aristides darau zu schreiben. Dieser fragte ihn mit Verwunderung, ob ihm denn Aristides etwas zuleide getan habe. "Gar nichts", antwortete er, "ich kenne den Mann nicht einmal, aber es ärgert mich, daß ich ihn überall den Gerechten nennen höre". So schrieb nun Aristides, ohne ein Wort zu erwidern, seinen Namen auf die Scherbe und gab sie ihm zurück". Und da es auch in Athen viel zu viel solcher Neider und Finsterlinge gab, so wurde Aristides für seine Gerechtigkeit verbannt.
Daß einer der größten Weltweisen, Sokrates, vom Athener Volk in ähnlicher Weise zum Tode verurteilt wurde, ist bekannt. Dabei wußte er, daß er nicht bloß von seinen Anhängern allein bekämpft wird, und daß er nicht als einziger dieses Schicksal zu tragen hat: "Wird man mich überwältigen", sagte er, "so werden es nicht Melites und Anites sein, sondern die Verleumdung und die Feindschaft der Masse. Sie haben schon noch viele andere, ausgezeichnete Männer überwältigt; es scheint mir, daß sie auch im weiteren überwältigen werden: man darf sich nicht wundern, daß es an mir nicht Halt machen wird ...". Sokrates kannte wohl das Gesetz der geistigen Finsternis, daß sie sich nämlich ausbreiten will und nicht zur Ruhe kommt, bevor sie alle Leuchten umstößt. Er wußte aber auch, daß der gute Mensch, der Lichtträger, weder im Leben, noch auch nach dem Tode Böses zu gewärtigen hat: denn das Leuchtende auf Erden wandelt im Licht und geht nach dem Tode in die Gefilde des Lichtes.
Sollten wir, dürften wir, Christen, bei diesen Erwägungen unseres Heilandes gedenken? Daß nämlich die irdische Stockfinsternis sich gegen das verkörperte Licht Gottes erhob und ihm das irdische Leben unter Qualen nahm? Dürften wir alsdann der christlichen Märtyrer, die bis auf heute leuchten und heute noch in die Gefilde des Lichts entschwinden, vergessen? ...
Der Finsterling kann sich mit dem Sein Gottes nicht abfinden. Er kann sein Licht nicht empfangen; er kann an seiner Güte und Liebe keine Freude haben. Er erhebt sich, um das Licht auszulöschen, weil er im Lichte sein eigenes Sein nicht behaupten und nicht fortsetzen kann. Er vergibt dem Licht keinen einzigen Lichtstrahl und solange er Versöhnung und Dank nicht gelernt hat, wird er seine Nichtigkeit an der Fülle und Güte Gottes rächen wollen. Möge das Licht in beliebiger irdischer Form erscheinen, möge es aus der persönlichen Güte, oder aus der politischen Gerechtigkeit, oder aus der religiösen Propheten-Evidenz, oder aus dem genialen Kunstwerk leuchten, - er haßt und neidet, er lästert und flieht vor dem Licht. Denn das, was er dem Lichtträger zufügt, möge es Verleumdung, Verbannung oder Hinrichtung sein, - ist nichts anderes als Auswirkung seiner eigenen Ohnmacht, als Flucht vor dem Licht, dessen Sieg von Anfang an auf göttlichen Wegen gewährleistet ist.
Aus: Iwan Iljin, "Blick in die Ferne", 1945
So gibt es auch unter den Menschen solche, deren Blick nur geistige Nacht verträgt, nur im Einerlei der geistigen Finsternis zur Ruhe kommt und mit verkrampftem Auge jedem göttlichen Lichtstrahl begegnet. Der Eine frohlockt wenn er etwas Göttliches wahrnimmt, sei es in der Natur, oder im Menschen oder in den Räumen der übersinnlichen Schau. Der Andere fühlt sich dadurch geblendet und beunruhigt, und möchte überhaupt nichts mehr davon wissen ...
Wer von den Menschen sich in die finstere Geistlosigkeit der eigenen Seele endgültig eingelebt hat, der wird geistscheu und lichtfeindlich: er kann das Leuchten des Geistes nicht empfangen, er flieht, er höhnt, er lästert, er wird gehäßig, vielleicht sogar mordbereit. Darum weiß die Geschichte so viel über die Ermordung der guten, der besten, der geistesleuchtenden Menschen zu berichten. Und wenn jemand als Sehender auftritt und über das von ihm Gesehene berichtet, oder sich auch schweigend einfach als Lichtkundiger benimmt, soo achter er nur, daß seine Persönlichkeit nicht zum Stein des Anstoßes für alle Nachtaffen und Nachteulen werden ... Und darum muß sich jeder, der missionieren geht, zum Martyrium vorbereiten.
Menschen, bei denen das geistige Auge ungeweckt bliebt, treten ins Leben mit wachem Instinkt und mit schlafendem Geist. Sie suchen sich dementsprechend einzurichten - im Äußeren, und darum auch im Inneren: denn bei ihnen folgt das innere Leben den Ansprüchen des äußeren Nutzens und paßt sich ihnen an. So wird ihnen ihre geistige Indifferenz zum Maß für alle Wertungen und Handlungen. Geistig ziehen sie ins Leben mit geschlossenem Auge und mit gelöschtem Licht und machen zuweilen den unheimlichen Eindruck eines "fliegenden Holländers", der aus der Nacht in die Nacht als verhexter Unheilträger an uns vorbei schwebt. Übrigens spüren solche Menschen ihren eigenen Nutzen ausgezeichnet; nur in der geistigen Dimension leben sie nicht. Im Irdischen sind sie gewandt; aber zuweilen hat man das Gefühl, daß sie nichts vom Himmlischen wissen. So gehen sie durch's Leben; so handeln sie; so beurteilen sie die Welt und die Menschen. Die geistige Stockfinsternis, die in ihnen herrscht, stört sie nicht; im Gegenteil: sie wird ihnen zur Quelle des seelischen Gleichgewichtes und der Ruhe. Unvermerkt werden sie zu vollendeten Finsterlingen.
Der Finsterling genießt seine Finsternis und haßt das Licht. Er liebt seine Nacht umso mehr, als er eben Mühe hatte, diese Dunkelkammer in seinem Innersten herzustellen und sich in ihr zu behaupten. Denn nur in seltenen Fällen der vollstänigen geistigen Blindheit oder Idiotie kann es dem Menschen leicht fallen, sich endgültig in einer radikalen Gottesleugnung zu verankern und sich zu einem totalen Finsterling zu gestalten. In den meisten Fällen läßt sich der Gott-gegebene und Natur-vererbte "Geist des Instinktes" nicht ohne weiteres ignorieren. Ungeweckt bei der Erziehung, vernachläßigt im selbständigen Leben, schlummert er in der gottlosen Seele unter dem verlassenen Kellergewölbe und kann jederzeit aus eigenem Antrieb erwachen, sein freies Schauen beginnen und sein lautloses Leuchten von sich geben. Das geschieht auch. Dann wird die beruhigende Finsternis von innen durchbrochen, das seelische Gleichgewicht schwindet, alles gerät ins Wanken, wie bei einem Erdbeben, und der Menscch kommt in einen geistigen "Bürgerkrieg" mit sich selbst.
Der arme Mann schien sich herrliche ohne Gott und Geist - herrlich und zum Allesdürfen entfesselt. Er stellte sich seine mitternächtliche Souveränität vor und meinte, er hätte allen möglichen Hähnen den Hals abgedreht; und plötzlich kräht der Hahn in seinem eigenen Innern. Er hatte sich endgültig eingeredet, es gäbe kein Licht und keine Sonne; und siehe da, sein eigenes geistiges Auge, von dem er nichts wußte, durchstrahlt aus der Tiefe die düsteren Räume seines Herzens. Zuweilen genügt ein Augenblick dieses Strahlens, um das Falsche der bisherigen Einstellung zu beleuchten. Klein kommt sich dann der "Große" vor, armselig, feige, und, was am unerträglichsten ist, lächerlich. Er sieht seine ersehnte und gelobte Finsternis schwinden: denn sie kam nicht aus der Welt, sie war nicht Naturgesetz - sie war bloß sein eigenes Erzeugnis, die gewollte Luft seiner Blindheit. Er hatte sie erdichtet, weil er sie für seine geistwidrige Entfesselung brauchte. Und plötzlich sieht er das alles ein: er schaut seine objektive Nichtigkeit und kann sie nicht akzeptieren. Er sucht nach Ausweg und findet ihn nicht.
Der innere Konflikt ist schwer und schmerzlich, und zwar umso mehr, als er von stolzen Naturen einsam und wortlos ausgetragen wird.
Der stolze Mann fühlt sich bloßgestellt und verurteilt, und dies von einer Instanz, deren Nichtsein und deren Unwert er sich sein Leben lang eingeredet hatte; und - das Schmerzlichste - im letzten Grunde weiß er, daß diese Verurteilung zurecht besteht. Er weiß es, will es nicht zugeben und sucht sich selber das Gegenteil davon zu beweisen; und kann es nicht. Er will zurück in die beruhigende und entfesselnde Finsternis; aber die gibt es nicht mehr: ein Licht strahlt aus der Tiefe, ringt mit der Dunkelheit und verwandelt sie in eine wogende Dämmerung. Er will sich, nach wie vor, als Finsterling behaupten, aber die Dämmerung hindert ihn daran und das eigene Licht überführt ihn. Er versucht seine Vergangenheit zu rechtfertigen und seine Selbst-Apologie zusammenzustellen; und scheitert auch daran. Er möchte das Licht auslöschen, oder es wenigstens eindämmen, verdächtigen, sich ausreden - und das gelingt ihm nicht. Das kränkt ihn bis ins Tiefste. Aus dieser Kränkung entsteht ein Haß, der sich zu entladen sucht; am wem? Aus dieser Erniedrigung erwächst ein nagender Neid - gegen alles, was Licht ist, gegen alle, die das Licht tragen, ausstrahlen oder genießen. Neid und Haß erzeugen den Durst nach Rache; und die Rache ruft zum Mord.
Die Tragödie des Finsterlings, der in den Strahlen des Lichtes steht, ist bitter und tief. Er kann weder das Licht annehmen, noch in seine frühere Finsternis zurückkehren. Es beibt ihm nichts anderes, als sich gegen das Licht aufzulehnen: sich im Glanz seines Unrechtes zu zeigen und sich als den mächtigen Lichtfeind zu erweisen. Er betritt also den Weg des gestürzten Engels. Kann er das Licht nicht empfangen, so will er jetzt der "Finster-Mächtige" werden; denn die Nacht hat auch ihre Macht und ihre Größe. Jetzt gilt es, sich zu behaupten und alles herauszufordern - Gott und die Welt, und das Licht, jede wahre Qualität und alle Menschen. Jetzt gilt es die Finsternis zu erheben und das Laster zu rechtfertigen; und nocht mehr: das Licht bloßzustellen und womöglich eingehen zu lassen, damit es nicht mehr leuchte und damit keiner es trage und genieße. Das dämonische Element rührt sich in ihm und gönnt ihm keine Ruhe: er muß zum Widersacher Gottes werden.
Er sieht sich zwischen drei Lichtquellen und alle drei sind ihm unerträglich: das herrliche Licht Gottes, die innere Flamme seines eigenen Gewissens und das irdische Leuchten des Propheten.
Aber das Licht Gottes ist durch nichts zu erreichen: gütig und mächtig durchstrahlt und überstrahlt es alles Seiende, aus einer geheimnisvollen Ferne, die zugleich in aller nächster Nähe wirkt und leuchtet. Da kann er sich nur abwenden und in den Dienst der finsteren Macht stellen.
Dann beginnt er ein hoffnungsloses Ringen mit dem eigenen Gewissen, mit dem Geist seines eigenen Instinktes. Er sucht diese innere Lichtmacht durch sophistische Klügeleien zu überwinden, durch immer neue, finstere Taten zu erschöpfen, durch inneren Rausch und äußeren Lärm zu übertönen; und beruhigt sich nur insofern und nur so lange, bis es ihm gelingt. Aber endgültig wird es ihm nicht gelingen. Dann kommt er in Verzweiflung, zumal er zwischen allen drei Mächten, die in Wirklichkeit Eines sind, eine inhaltliche "Verwandtschaft" und eine ständige "Zusammenarbeit" spürt ...
Also bleibt ihm nur, seine Verzweiflung an dem Propheten in seiner irdischen Gestalt, auszutoben. Dann kommt es so weit, daß die Finsterlinge sich verschwören und gemeinsam ihr Werk zu vollbringen suchen: hier stürzen sie durch Ränke und Verleumdungen den leuchtenden Rivalen, dort versuchen sie alle Heiligtümer in Trümmer zu legen, am dritten Ort - einen genialen Menschen hinzurichten, überall das Licht auszublasen und womöglich die ganze Welt mit Lüge zu überfluten und in Dämmerung einzuhüllen. Und die besten Menschen fallen ihnen zum Opfer.
Das gelingt ihnen um so leichter, da es ja so viele Durchschnittsmenschen gibt, die an und für sich zu den Finsterlingen gar nicht gehören, bloß mit ihren Minderwertigkeits-Gefühlen nicht fertig werden und daher dem Neid verfallen. Niemand will sich klein, dumm, häßlich oder sonst irgendwie zurückgestellt sehen; und jeder hat Augenblicke im Leben, wo er seine Grenzen und seine Unzulänglichkeit einsehen und ehrlich zugeben muß. Dann kommt über ihn die Gefahr des Neides und er hat etwa denselben inneren Kampf, wie der große Finsterling, nur im kleinen Maßstabe auszutragen. Und wenn der Neid nicht überwunden wird, so verkriecht er sich in die Dämmerung des Unbewußten und verwandelt sich in ein unruhiges Spähen nach fremder Größe, Gabe und Tugend; - in eine Scheelsucht, mit der ewigen Bereitschaft, sich an dem Heruntermachen des Excellenten zu beteiligen. "Schönheit strahlt heilige Triebe in die Seelen", sagte einmal Wieland. Und Schiller vollendete diese Beobachtung: "Es liebt die Welt das Strahlende zu schwärzen." .... Da schließen sich viele kleine Neidlinge zusammen, finden den größeren und bösen Neidhart, unterstellen sich ihm, und verrichten ihr böses Werk. Einzeln oder in Scharen überfällt man die besten Menschen, um sie doch einmal los zu werden und ungehindert die Luft der alltäglichen Dämmerung oder der vollendeten Finsternis atmen zu können.
Schon die prähistorische Welt wußte darüber mit Entsetzen und Schmerz zu berichten. Der unfromme Kain soll aus Neid und Haß seinen Bruder, den frommen Abel erschlagen haben; und die Erde öffnete zum ersten Mal ihren Schlund, um ein unschuldiges Blut zu empfangen. - Der leidenschaftlich-rohe und widerspenstig-böse Dämon Set soll sich seines göttlichen Bruders, des Königs Osiris, listig und verräterisch bemächtigt und ihn in vierzehn Teile zerstückelt haben; und die leuchtende Gestalt des Osiris wurde von den Ägyptern als Sonnengottheit und als Auferstehungs-Omen gefeiert, Set aber wurde in die unterirdische Finsternis versetzt. Dies die zwei berühmtesten Visionen, der vorgeschichtlichen Zeit, um die biblischen Propheten nicht zu benennen.
Dann kommen die geschichtlichen Vergehen der Neider an den Lichtträgern. Diogenes Laertius berichtet uns, wie der große epheser Philosoph Heraklites die Verbannung seines Freundes Hermodoros erlebte: "Die Epheser", sagte er, "verdienen, daß alle ihre Erwachsenen insgesamt sterben und die Stadt den Unvolljährigen überlassen, dafür, daß sie ihren besten Menschen Hermodoros verbannten, indem sie sagten - es sei unter uns keiner der Beste, gibt es aber einen solchen, so möge er anderswo und mit anderen leben - ...".
Diesen Wunsch, den Besten los zu werden, schildert auch Plutarch in der Lebensbeschreibung des Aristides: "Als damals über Aristides abgestimmt wurde, reichte, wie man es erzählt, ein dummer Bauer, der nicht einmal die Buchstaben kannte, dem Aristides, den er für einen gemeinen Mann ansah, seine Scherbe hin und bat ihn, den Namen Aristides darau zu schreiben. Dieser fragte ihn mit Verwunderung, ob ihm denn Aristides etwas zuleide getan habe. "Gar nichts", antwortete er, "ich kenne den Mann nicht einmal, aber es ärgert mich, daß ich ihn überall den Gerechten nennen höre". So schrieb nun Aristides, ohne ein Wort zu erwidern, seinen Namen auf die Scherbe und gab sie ihm zurück". Und da es auch in Athen viel zu viel solcher Neider und Finsterlinge gab, so wurde Aristides für seine Gerechtigkeit verbannt.
Daß einer der größten Weltweisen, Sokrates, vom Athener Volk in ähnlicher Weise zum Tode verurteilt wurde, ist bekannt. Dabei wußte er, daß er nicht bloß von seinen Anhängern allein bekämpft wird, und daß er nicht als einziger dieses Schicksal zu tragen hat: "Wird man mich überwältigen", sagte er, "so werden es nicht Melites und Anites sein, sondern die Verleumdung und die Feindschaft der Masse. Sie haben schon noch viele andere, ausgezeichnete Männer überwältigt; es scheint mir, daß sie auch im weiteren überwältigen werden: man darf sich nicht wundern, daß es an mir nicht Halt machen wird ...". Sokrates kannte wohl das Gesetz der geistigen Finsternis, daß sie sich nämlich ausbreiten will und nicht zur Ruhe kommt, bevor sie alle Leuchten umstößt. Er wußte aber auch, daß der gute Mensch, der Lichtträger, weder im Leben, noch auch nach dem Tode Böses zu gewärtigen hat: denn das Leuchtende auf Erden wandelt im Licht und geht nach dem Tode in die Gefilde des Lichtes.
Sollten wir, dürften wir, Christen, bei diesen Erwägungen unseres Heilandes gedenken? Daß nämlich die irdische Stockfinsternis sich gegen das verkörperte Licht Gottes erhob und ihm das irdische Leben unter Qualen nahm? Dürften wir alsdann der christlichen Märtyrer, die bis auf heute leuchten und heute noch in die Gefilde des Lichts entschwinden, vergessen? ...
Der Finsterling kann sich mit dem Sein Gottes nicht abfinden. Er kann sein Licht nicht empfangen; er kann an seiner Güte und Liebe keine Freude haben. Er erhebt sich, um das Licht auszulöschen, weil er im Lichte sein eigenes Sein nicht behaupten und nicht fortsetzen kann. Er vergibt dem Licht keinen einzigen Lichtstrahl und solange er Versöhnung und Dank nicht gelernt hat, wird er seine Nichtigkeit an der Fülle und Güte Gottes rächen wollen. Möge das Licht in beliebiger irdischer Form erscheinen, möge es aus der persönlichen Güte, oder aus der politischen Gerechtigkeit, oder aus der religiösen Propheten-Evidenz, oder aus dem genialen Kunstwerk leuchten, - er haßt und neidet, er lästert und flieht vor dem Licht. Denn das, was er dem Lichtträger zufügt, möge es Verleumdung, Verbannung oder Hinrichtung sein, - ist nichts anderes als Auswirkung seiner eigenen Ohnmacht, als Flucht vor dem Licht, dessen Sieg von Anfang an auf göttlichen Wegen gewährleistet ist.
Aus: Iwan Iljin, "Blick in die Ferne", 1945
Mittwoch, 9. Mai 2007
Iwan Iljin: Vom nationalen Dünkel
Vom nationalen Dünkel
Aus dem Tagebuch eines Patrioten
Daß der Mensch sein Vaterland liebt und seinem Volke die Treue hält, ist natürlich, würdig und gut. Wie dürfte es anders sein? Wie könnte es anders werden? Er gleicht dem Baum, der seine Erdscholle mit allen Wurzeln umklammert, aus ihr seine Nahrung holt und sie nur dann verläßt, wenn ihm die Wurzeln abgehauen werden. Er gleicht dem Sohn, der sein Bestes von seiner Mutter erhalten hat - Leben, Gesundheit und die Kraft seines Geistes - und also die Substanz seiner Mutter in sich trägt. Zwischen dem Patrioten und seinem Vaterland besteht eine geheimnisvolle geistige Identität, so daß der Patriot sein "Land" in sich trägt und das "Land" im Patrioten sein schaffendes Organ behauptet.
Jeder wahre Patriot spricht stillschweigend zu seinem Volke: "Ich bin dein. Ich bin aus deinem Schoße fleischlich und geistig enstanden. Es flammt in mir derselbe Geist, der in meinen Ahnen glühte. Mich führt dein Selbsterhaltungstrieb, derselbe, der dich durch alles Schwierigkeiten und Nöte deiner Geschichte leitete. Der Seufzer in meiner Brust ist dein Seufzer; und stöhntest du, so stöhnt es auch in meiner Brust. Durch deine Kraft bin ich selbst stark und darum dient meine Stärke deiner Sache. Ich bin mit dir zu einem Wir verbunden. Ich glaube an deine Macht und an deine schöpferischen Wege. Deine Sprache ist meine Sprache; und wenn ich schaffe, so schaffe ich nach deiner Art und Weise. Ich lebe mit dir; ich schaue und denke wie du; ich wäre so froh, alle deine Gaben und Fähigkeiten zu besitzen; und es ist nur mit verborgenem Schmerz, daß ich an deine Schwächen und Unvollkommenheiten denke. Dein Staatsinteresse ist das meinige. Ich bin stolz, mich an deinem Ruhm beteiligen zu dürfen; aber nagender Kummer spannt mir das Herz, wenn ein Unglück über dich kommt oder du darniederliegst. Deine Freunde sind meine Freunde; und deine Feinde sind die meinigen. Dir gehört mein Leben und mir gehören deine Lande. Deine treue Armee ist meine Armee und wer sich an deiner Ehre vergreift, entehrt mich selber. Ich habe dich nicht auserkoren; du hast mich in deinem Schoße ausgetragen, geschützt und erzogen; aber von dir geboren und beschenkt, habe ich dich in Dank und Demut anerkannt, und treu und frei in mein Herz eingeschlossen. So sind wir eines geworden; so sind wir lebendige Identität" ...
Wenn das Herz des Patrioten zu seinem Volke in dieser Weise wortlos redet, so hat es recht und stellt eine der bedeutendsten und schöpferisch fruchtbarsten Beziehungen des irdischen Lebens her. Und wenn der Patriot so redet und handelt, so wäre es ungerecht, ihm einen nationalen Dünkel vorzuwerfen. Denn der Dünkel ist nicht Liebe und treue Gemeinschaft, sondern Überheblichkeit; und ein Patriot braucht durchaus nicht überheblich zu sein. Der Dünkel kommt aus einer Blendung und schafft eine Illusion. Der wahre Patriotismus ist aber durchaus keine Blendung und hütet sich wohl vor irgendwelchen Illusionen: im Gegenteil, er ist berufen, realistisch zu schauen, zu werten und zu handeln. Wer realistisch schaut, der sieht die Sachen so, wie sie sind: er sieht sein eigenes Volk in seiner Stärke und in seiner Schwäche; und er sieht auch die anderen Völker in ihren Fehlern und ihren Errungenschaften. Was jeder Patriot haben muß, ist: Flamme im Herzen und nüchterner Blick, Gott behüte ihn vor Überheblichkeit und nationalem Größenwahn. Denn mit der naiven Überheblichkeit beginnt der nationale Dünkel; und im politischen Größenwahn findet er seinen katastrophalen Höhepunkt.
Liebe ich mein Volk, so will ich es richtig kennen: seinen geschichtlichen Werdegang und seine Gefahren, die Eigenart seines Characters, seine territoriale, politische und wirtschaftliche Problematik, die Struktur seines geistigen Aktes, alles - seine nationalen Tugenden und seine Laster, seine Errungenschaften und seinen Rückstand, alles, was ihm eignet, was es angeht, was ihm fehlt. Ich suche es richtig zu erkennen und gerecht zu schätzen: nichts zu verkennen, nichts zu überschätzen und nichts zu unterschätzen. Das Gute ist gut; es muß wachsen und gedeihen. Das Schlechte ist schlecht; es muß durch neue Volkserziehung überwunden werden. Habe ich mein Volk erkannt, so werde ich ihm nichts verheimlichen: ich werde das Gute rechtfertigen, damit man weiß, was zu pflegen ist; ich werde aber das Schlechte nicht verschweigen, sondern es feststellen, zeigen und schildern, seinen Gründen und Quellen nachgehen, eine Besinnung im Volk hervorzurufen suchen, eine Läuterung anspinnen, eine Überwindung anbahnen.
Die Liebe darf nicht blind sein; im Gegenteil, sie muß das Auge des Liebenden klar und weitsichtig machen. Das geliebte Volk darf nicht in naiver Weise idealisiert werden. Das braucht es auch nicht. Der wahre Dienst am Volk besteht nicht in demagogischer Verherrlichung, in Schmeichelei und nationaler Überheblichkeit, sondern vielmehr in nüchterner, sachlicher Beurteilung und im klaren Nachweis der Fehler und Mängel. Hier liegt historisch der Unterschied zwischen nationaler Demagogie und nationalem Prophetentum: der Demagoge ist Brunnenvergifter und der Prophet ist Erzieher. Die Erziehung führt aber nicht zum blinden Dünkel, sondern in der Richtung der Bescheidenheit, der Besinnung und der Demut.
Somit beginnt der nationale Dünkel da, wo das Volk im primitiven Selbstbewußtsein stecken bleibt und wo auch seine Propheten, Ideologen und Erzieher dieses primitive Selbstbewußtsein nicht zu überwinden verstehen.
Das primitive Selbstbewußsein besteht darin, daß der Mensch durch seine Selbstwahrnehmung gefesselt wird und es nicht weiter bringt. Das, was er in sich selbst und als zu sich gehörend wahrnimmt, scheint ihm dermaßen wichtig und vollendet zu sein, daß er über diese Grenzen hinaus nicht mehr will. Das Eigene nimmt seine Aufmerksamkeit und Liebe in Anspruch. Sein Ich wird ihm zum lebendigen und einzigen Zentrum seiner Lust, seines Wollens, seiner Mühe und Freude; an der eigenen Realität zweifelt er nicht, das Übrige wird ihm mindestens problematisch und unwichtig. Es geht ihm etwa so, wie bei Andersen der alten Ente und der alten Katze, die hinter dem warmen Ofen kauerten und sich selbst für die halbe Welt und zwar für die beste Hälfte der Welt hielten. Darus entsteht im Alltagsleben ein lästiger Egoismus; der Psychopathologe hätte hier von "Autismus" und "Autoerotismus" gesprochen; der Philosoph hätte die Begriffe "Egozentrismus" und "Solipsismus" zur Anwendung gebracht; im sozialen Leben entsteht daraus eine engherzige Klassenpolitik, und im Völkerleben - nationaler Dünkel.
Der Mensch mit primitivem Selbstbewußtsein empfindet wohl die "eigene Haut", versteht aber aus der eigenen Haut in die fremde nicht zu fahren. Zuweilen ahnt er auch nicht, daß es überhaupt möglich ist und wie man es beginnt. Er ist naiv in seinem Egozentrismus. Sein "Ego" ist ihm alles; seine Welt, sein Hort, sein Ziel, sein Stolz. Einfühlung in andere Menschen und Völker übt er nicht; wozu täte er das auch? Darum weiß er auch so wenig von Nachempfinden, von Mitleid, von Takt und schließlich auch von Rücksicht. Er ist die Hauptursache im Leben und in der Welt; das Übrige ist unwichtig. Das Übrige bildet nur das Mileu, in dem er glänzt. Das war nämlich die grundlegende Idee von Max Stirner, diesem unnaivem Apologeten des amoralisch-praktischen Solipsismus, als er den "Einzigen und sein Eigentum" predigte; und wenn man sein Buch aufmerksam zu Ende gelesen hat, so staunt man über den vollständigen Mangel an Selbst-Humor (humor sui), den das Buch aufzeigt.
Etwa so geht es auch dem Volk mit primitivem Sebstbewußtsein: es verfällt dem nationalen Dünkel, in dem zugleich Naivität und Anmaßung zum Vorschein kommen. Der nationale Dünkel entsteht aus dem Gefesseltsein durh das Eigene. Einmal entstanden, schöpft er seine Kraft aus zwei gesunden, aber bei Rücksichtslosigkeit gefährlichen Trieben: aus dem Selbsterhaltungstrieb und dem Geltungstrieb. Der Selbsterhaltungtrieb gibt dem nationalen Dünkel den Schwung und dem Stoff seiner Anmaßung; der Geltungstrieb entstellt seine Wert-Urteile und treibt ihn in die Überheblichkeit. Daraus erwächst eine gewaltige Selbstüberschätzung und eine Unterschätzung anderer Völker. Die anderen Völker scheinen dem Dünkelhaften wenig wert zu sein: entweder sind sie eine Wiederholung seiner, dann sind sie überflüssig und brauchen nicht selbständig zu bleiben; oder aber sind sie Völker niedrigeren Ranges, dann dürfen sie dem erstrangigen Volk nicht im Wege stehen. Jedenfalls ist seine Einfühlung in das Leben und Schaffen des Anderen nicht angebracht, nicht zu empfehlen, denn sie wäre so viel, wie "Verrat" an dem eigenen. Die anderen Völker sind nicht mehr als Forschungsobjekt und zwar für den Fall der heranreifenden Unfreundlichkeiten; sie sind jedoch durchaus keine lebensberechtigten und selbständigen Subjekte, die zum freien Umgang geschaffen sind. Daraus entsteht eine eigenartige Unkenntnis der anderen Völker, eine Verständnislosigkeit, eine Anhäufung von Illusionen und von diplomatischen Fehlern, was wiederum den nationalen Dünkel stärkt und steigert.
Auf diese Weise wird alles überheblich und anmaßend: die Liebe zum Vaterland, der Stolz auf die großen Schöpfer der nationalen Kultur, die Wertung der eigenen Volkskraft, die Beziehung zu den umgebenden Völkern. Wenn aber auch die Erzieher und Propheten des Volkes von diesem Dünkel ergriffen werden, dann kann die Überschätzung zu einem richtigen Größenwahn auswachsen; und es fehlt dem Volk und seinen Erziehern an mäßigendem und läuternden Selbst-Humor, so rollt der Karren des Dünkels unaufhaltsam einer Katastrophe entgegen. Dann bildet sich die traurige Lehre vom historischen Hauptvolk und seiner Weltmission. Und vor diesem Hauptvolk stehen die übrigen Völker als eine Reihe von lästigen Hindernissen oder von geschichtlichen Mißverständnissen da ... -
In Wirklichkeit aber ist die Menschenwelt mit einem Garten Gottes zu vergleichen. Wohl weiß der ewige Gärtner, welche Blumen, wann und wo er gepflanzt hat und in der Zukunft noch pflanzen wird. Seine hohen Pläne hält er aber geheim und gestattet uns keinen Einblick in seine Absichten. Und jedes Volk, als Blume Gottes, hat Sorge zu tragen, daß seine Blüte am besten ausfalle und seine Gärtner mit schönstem Duft preise. Aber keine Blume hat irgend einen Grund, sich für die Hauptblume des göttlichen Gartens zu halten und die anderen Blumen zu verachten und zu überwuchern.
Es ist uns vorenthalten zu wissen, ob es wirklich in diesem Welt-Eden Hauptblumen zum Wuchern und wertlose Blümchen für den Misthaufen der Geschichte gibt. Sicher ist jedoch, daß eine wirkliche Hauptblume Gottes dem Dünkel nicht verfallen wird und daß eine überhebliche Blume kein Wohlgefallen finden kann.
Aus: Iwan Iljin, "Blick in die Ferne", 1945
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